Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
sozialen, kulturellen und Umwelt-Initiativen zu fördern, von Gruppen, denen ihr im Wahlkampf großzügige Unterstützung versprochen habt. Mir ist es relativ egal, von wem ich das Geld bekomme, wenn ich damit vernünftige Politik machen kann.«
»Aber zu welchem Preis?«, maulte der Zwischenrufer von vorhin.
»Wir fragen auch in anderen Fällen nicht, woher das Geld kommt. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass die Grünen alle Industriebetriebe von der Stadtfläche Münsters vertreiben wollen. Global Artists haben angekündigt, dass sie, falls es in Münster zu schwierig wird, notfalls nach Rheine gehen werden. Der dortige Stadtrat hat ihnen ein großzügiges Angebot gemacht.«
»Sollen sie doch!«, rief eine Frau.
»Ja. Und was ist der höhere Nutzen für die Umwelt, wenn das, was wir ablehnen, vierzig Kilometer von hier entfernt stattfindet? Ich möchte nicht wissen, wie viele von euch dann sonntags mit dem Auto nach Rheine fahren werden.«
Wütendes Geheul.
»Ich gebe zu, das war etwas unfair«, lenkte die Kämmerin ein. »Trotzdem, ich bleibe dabei: Wir können nicht einfach die oberzentrale Funktion von Münster negieren. Das bringt, unter Umständen, Belastungen mit sich. Wohlgemerkt, auch ich bin dafür, noch einmal mit der SPD zu verhandeln. Die Beeinträchtigungen für Natur und Anwohner sollten so gering wie möglich gehalten werden. Aber dann, wenn die Sache ausgereizt ist, sollten wir zustimmen oder uns wenigstens enthalten. Und«, sie hob die Stimme, um das anschwellende Gemurmel zu übertönen, »einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, bevor ich aufhöre. Es ist bereits erwähnt worden, was eine große Koalition von SPD und CDU für unsere Position in der Verwaltungsspitze bedeutet. Ich will hier nicht mit Rücktritt drohen, das ist nicht meine Art. Aber eines muss euch klar sein: Bei der dann anstehenden Neuverteilung der Dezernate würde mir die Feuerwehr oder ein ähnlich wichtiges städtisches Amt zugewiesen werden.«
Nachdem die Kämmerin geendet hatte, war es im Saal merklich ruhiger geworden. Mit ihrer wohlüberlegten Rede hatte sie die Anwesenden mehr beeindruckt, als es den Hardlinern der Ablehnungsfraktion lieb war. Heiner Kleine-Langen, der sich noch einmal zu Wort meldete, vermied es, Öl ins Feuer zu gießen. Er schlug vor, die Diskussion über ein Ende der rot-grünen Koalition auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und vorerst die Verhandlungsoption wahrzunehmen.
So kam es, wie Jutta Rausch vor der Veranstaltung prophezeit hatte. Bei nur vier Gegenstimmen und fünf Enthaltungen lehnte die große Mehrheit das Kappenstein-Projekt ab. Die grüne Stadtratsfraktion wurde beauftragt, mit der SPD darüber zu verhandeln. In einigen Wochen sollte dann eine neue Mitgliederversammlung über das Ergebnis der Verhandlungen beraten.
Beim Hinausgehen sprach ich Dirk Holthausen an. Ich sagte ihm, was ich von ihm wollte, und nach kurzem Zögern willigte er ein, mich am nächsten Abend zu treffen.
Die Kämmerin stand schon neben ihrem Auto.
»Sie sollen mich beschützen und nicht herumquatschen. Der Killer hätte mich längst erledigen können.«
»Der Killer liebt es einsamer. Hier laufen zu viele Menschen herum.«
»Sind Sie sicher?«
Ich war nicht sicher, aber das behielt ich für mich.
»Eine beeindruckende Rede«, lobte ich sie, während wir zu ihrer Wohnung fuhren.
»Danke. Sie hat leider nicht viel genutzt.«
»Sagen Sie das nicht. Sie haben die Stimmung beruhigt. Zeitweilig sah es nach einer Kurzschlusshandlung aus.«
»Na ja, man tut, was man kann.« Sie verfiel in Schweigen, und den Rest der Fahrt betrachteten wir gedankenversunken das nächtliche Münster.
Rausch hatte eine Wohnung an der Promenade gemietet. Von ihrem Balkon aus konnte sie auf die baumbestandene geschleifte Stadtmauer blicken, die heute als Fahrradweg diente.
Das Wohnzimmer war spartanisch eingerichtet, wirkte aber nicht ungemütlich. Zwei Ledersessel und ein Schlafsofa standen auf dem Parkettboden herum, gedimmte Deckenstrahler verbreiteten ein warmes Licht. Ein Fernseher, ein niedriger Glastisch und ein Regal mit überschaubarem Bücherangebot komplettierten die Ausstattung.
Skeptisch betrachtete ich zwei abstrakte blutrote Gemälde.
»Gefallen sie Ihnen?«, fragte die Kämmerin.
»Sie könnten ein bisschen blauer sein.«
Sie lachte. »Moderne Kunst ist wohl nicht Ihr Fall? Setzen Sie sich doch!« Sie schob eine CD in den Player. »Ich bin gleich wieder da.«
Sie verschwand in einen
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