Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
war deine eigene Entscheidung, Georg«, widersprach Franka. »Du hattest alle Chancen, mehr zu erreichen.«
»Vielleicht bin ich ja mit dem zufrieden, was ich habe. Ich arbeite, wann und wie viel ich will, und niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Ich brauche kein Aktiendepot für mein Selbstbewusstsein.«
»Denkst du nie darüber nach, dass es anders hätte laufen können?«
»Na ja, manchmal schon. Dann frage ich mich, warum ich nicht beizeiten eine Studienrätin geheiratet habe. Und ganz, ganz selten habe ich den Wunsch, wie ein stinknormaler Mensch in ein Reisebüro zu gehen und zwei Wochen Karibik zu buchen. Aber das geht vorüber.«
Wir plauderten noch eine Weile. Weil es ein angenehmer Abend war und mich Gespräche über mein Leben immer ein wenig sentimental machten, hätte ich gern noch ein drittes Bier bestellt. Aber ich wollte nicht wortbrüchig werden. Franka und ich vereinbarten, uns am nächsten Tag mit Marie Kaiser vor dem Polizeipräsidium zu treffen. Dann schwang sich Franka auf ihr Fahrrad und fuhr davon. Und ich ging in meine unaufgeräumte Wohnung zurück.
III
Am nächsten Morgen riss mich einer meiner Nachbarn, der sich als Frühaufsteher profilieren wollte, mit seinem motorisierten Rasenmäher aus dem Schlaf. Nachdem ich mich eine Weile geärgert und festgestellt hatte, dass bei dem Lärm sowieso nicht an ein Weiterschlafen zu denken war, beschloss ich, die Gelegenheit zu nutzen und vor dem Termin im Polizeipräsidium ein paar Recherchen anzustellen. Ich kochte mir einen italienischen Kaffee, frühstückte zwei Scheiben von dem ältlichen Brot, das seit unbestimmter Zeit sein Dasein in der Brottrommel fristete, und las dabei die neuesten Berichte über Ballacks Wade und Metzelders Knöchel vor dem Schicksalsspiel unserer Nationalelf gegen die US-Boys in Südkorea. Dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg.
Seit der Zeit, als die Westfälische Wilhelms-Universität noch eine katholische Akademie war und sich gegen die protestantischen Preußen sträubte, befanden sich die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche mitten in der Stadt, zwischen Domplatz und Hindenburgplatz. Selbst der Zweite Weltkrieg hatte daran nichts geändert, die Gebäude waren an derselben Stelle wieder aufgebaut worden. Im konservativen Münster hatten moderne Stadtplaner nie die Chance bekommen, die Innenstadt zu verschandeln, wie es ihnen in den Städten des Ruhrgebiets problemlos gelungen war.
Der dreistöckige Bau, in dem sich das Institut für Sprachwissenschaft befand, stand am Ufer der Aa und stammte aus den architektonisch grausamen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Ich ging durch den Windfang und stieg die Treppe hinauf. Der einzige Lichtblick, den der Architekt gehabt hatte, war die Glasfront auf der Nordseite des Gebäudes. Sie erlaubte einen Panoramablick auf die von den Jesuiten erbaute Petrikirche, eine der schönsten der vielen Kirchen Münsters.
Kaisers Arbeitsräume lagen im zweiten Stockwerk. Da mich seine Sekretärin am Tag zuvor zusammen mit Stürzenbecher gesehen hatte, baute ich darauf, dass sie mich für befugt hielt, Antworten auf meine Fragen zu verlangen. Ich klopfte an ihre Tür und trat ein. Die Aktion bewirkte einen unterdrückten Aufschrei und ein heftiges Zusammenzucken.
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Die Nerven«, stammelte die etwa vierzigjährige Frau.
»Ja, so ein Mord passiert nicht alle Tage. Sie erinnern sich sicher, dass ich gestern schon hier war?«
»Ja ...«
»Ich habe da noch ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von Professor Kaiser.«
»Ich weiß nicht ...«
»Müssen Sie auch nicht. Professor Kaiser hatte doch sicher Assistenten?«
»Natürlich.« Sie entspannte sich etwas. Offenbar hatte sie befürchtet, ich wollte sie über die amourösen Eskapaden ihres Chefs ausfragen. »Dr. Kohlmann und Dr. Weichert.«
»Hatte Professor Kaiser ein gutes Verhältnis zu ihnen?«
»Auf jeden Fall. Sie haben ihn verehrt.«
»Rein wissenschaftlich?«
»Selbstverständlich.« Sie errötete. »Professor Kaiser war ja eine Kapazität auf seinem Gebiet.«
»Zweifellos. Sind Dr. Kohlmann und Dr. Weichert im Haus?«
»Frau Dr. Kohlmann hat ein Seminar, aber Herr Dr. Weichert ist in seinem Zimmer.«
»Wo finde ich ihn?«
»Wenn Sie hinausgehen, die dritte Tür rechts.« Sie zögerte, als wollte sie noch etwas sagen.
»Ja?«
»Herr Dr. Weichert ist ... Ich meine, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn er sich ein wenig seltsam benimmt.«
»Das
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