Wind der Traumzeit (German Edition)
sie durcheinander. Obendrein hatte Niklas sich sofort verdrückt, was ihr ebenfalls Sicherheit nahm. Sie vertiefte sich scheinbar in das Spiel mit Sophie, während Tom und Nora den Abendbrottisch deckten und sich angeregt unterhielten. Marie hörte ihre Mutter zum ersten Mal außerhalb der Ferien Englisch reden und fühlte sich ausgeschlossen. Nach einer Weile stand sie auf und ging zur Tür.
»Mama, ich hab auch keinen Hunger. Aber ich bin müde und mach mich schon mal im Bad fertig, ja?« Ihr Blick ging verlegen zu Tom. »Gute Nacht.«
Tom zwinkerte ihr freundlich zu. »Gute Nacht, Marie.«
Als sich die Tür schloss, ließ sich Nora auf einen Stuhl am Esstisch fallen. »Na, das ist ja ein Superstart gewesen. Es tut mir Leid.«
Er nahm ihr gegenüber Platz und schüttelte den Kopf. »Also ich finde, es ist nicht übel gelaufen. Was erwartest du denn von deinen Kindern? Dass sie dem Mann, den sie für das Scheitern der Ehe ihrer Eltern verantwortlich machen, um den Hals fallen? Nein. Sie verhalten sich ihrem Vater gegenüber loyal, das ist absolut normal. Lass ihnen Zeit, Nora. Es wäre schrecklich für mich, wenn du sie aus Erziehungsgründen dazu zwingen würdest, freundlich oder nett zu mir zu sein. Vorerst genügt diese vorsichtige Höflichkeit.«
Nora lächelte. Insgeheim hatte sie sich für das abweisende Verhalten ihrer Kinder Tom gegenüber verantwortlich gefühlt. Froh darüber, dass er es offenbar so verständnisvoll aufnahm, stand sie auf und ging zu ihm. Feine Lachfältchen vertieften sich um ihre Augen, als sie ihn ansah. »Es ist kein Wunder, dass ich mich damals gleich in dich verliebt habe.«
Er zog sie leise lachend auf seinen Schoß und küsste sie, bis Sophie eilig herankrabbelte und sich an seinem Knie hochzog.
Nora und Tom hatten am Abend zuvor beschlossen, dass Tom in ein kleines Hotel in der Nähe zog. Sie wollten Niklas und Marie Zeit geben. Außerdem befürchtete Nora, dass die kurz bevorstehende Scheidung von Max mit den bis jetzt einvernehmlich abgesprochenen Sorgerechtsregelungen womöglich in Gefahr geraten könnte, wenn Tom bei ihr bliebe, und sei es auch nur besuchsweise. Am späten Abend brachte Nora Tom mit dem Hund zum Hotel. Entspannt bummelten sie den etwa zehnminütigen Weg entlang und genossen die klare Sternennacht. Die Luft war für die Jahreszeit erstaunlich mild. Aus einem Garten mit großem Teich war ein lautes Froschkonzert zu vernehmen. Als sie an einem etwas verwilderten parkähnlichen Grundstück vorbeikamen, blieb Nora abrupt stehen, und Tom sah sie verblüfft an. Ihre Augen funkelten im Licht der Straßenlaterne, und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie legte einen Finger auf ihre Lippen und bedeutete ihm zu lauschen. Tom hörte es nun auch — ein wohltönendes, melodiöses Gezwitscher, das immer wieder in kleine Schluchzer überging und anschließend mit einigen langgezogenen Tönen in erneuten Gesang wechselte. Nora schmiegte sich an ihn.
»Weißt du noch? In den Blue Mountains hab ich dir von der Nachtigall erzählt. Das ist sie. Nie hätte ich geglaubt, dass wir sie einmal zusammen hören werden.«
Tom schloss sie fest in seine Arme. Als sie sich küssten, ruckte Kuno so ungeduldig an der Leine, dass sie ins Straucheln gerieten. Nora lachte und machte ihn los.
»Na lauf schon, du Stimmungsmörder.«
Die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander musste Nora schon in den nächsten Tagen aufgeben. Niklas verschwand meistens kommentarlos in seinem Zimmer, wenn Tom auftauchte, und Marie schwieg verstört vor sich hin, bis sich ihr die erste Gelegenheit bot, sich unauffällig zurückzuziehen. Schließlich war es sogar zu einem heftigen Streit zwischen Nora und ihrem Sohn gekommen.
Niklas hatte danach die Tür wütend hinter sich zugeworfen und war laut die Treppe hinaufgestapft. Ein weiteres Türknallen oben verriet ihr, dass er in sein Zimmer gegangen war. Einige Sekunden starrte sie ihm sprachlos nach. Natürlich hatte es schon öfter Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben – was ja nicht weiter erstaunlich war, da Niklas mitten in der Pubertät steckte. Voller Grauen erinnerte sich Nora daran, wie schlimm er reagiert hatte, als sie mit Sophie schwanger gewesen war und sie und Max sich getrennt hatten. Damals hatte sie geglaubt, sie würde ihn verlieren. Und doch hatte er sich nach einiger Zeit wieder gefangen und war umgänglicher geworden. Als Sophie auf die Welt kam, war er stets der große Bruder gewesen. Doch jetzt plötzlich ging von ihm
Weitere Kostenlose Bücher