Wind Der Zeiten
ließ er den Dolch, der sich immer noch gefährlich nahe an seinem Hals befand, nicht aus den Augen. »Warum sollten die Iren eine ihrer Frauen hierherschicken? Wir haben seit Jahren nichts mehr von ihnen gehört. Du kannst mich jetzt übrigens loslassen.«
Alan ließ den Dolch mit einer geschickten Bewegung in seinem Gürtel verschwinden. Er wirkte wie eine Katze auf dem Sprung. Kein Zweifel, sollte sein Bruder eine falsche Bewegung machen, würde er es bereuen.
Lachlan schien dies zu wissen und trat einen Schritt zurück. »Hör zu, Alan! Es ist mir egal, was du mit den Weibern machst, aber du hast eingewilligt, Mary zu heiraten.«
»Weil ich muss. Du weißt ganz genau, dass ich Vaters Wort nicht brechen kann, er hat die Verbindung arrangiert.«
»Und das war sehr vorausschauend von ihm. Nachdem Seaforth bei den Aufständen unbedingt in vorderster Reihe marschieren und zum zweiten Mal fliehen musste, sind die Mackenzies nicht gut angesehen. Daran hat auch seine Begnadigung nicht viel geändert. Uns beobachten sie auch, und die Waffen sind wir obendrein losgeworden.« Er spuckte aus. »Solange der Clan stark war, ist es uns immer gelungen, uns aus den politischen Machenschaften herauszuhalten. Aber
jetzt müssen wir vorsichtig sein. Ich möchte wetten, der Herzog von Argyle oder sonst einer lauert schon auf eine Gelegenheit, König George das Mackenzie-Land doch noch abzuschwatzen. Dieser neue Hannoveraner ist keinen Deut besser als sein Vater und weiß wahrscheinlich nicht einmal, wo Schottland liegt. Willst du riskieren, dass es hier eines Tages so aussieht wie in Castle Donan?«
»Von dem du glaubst, dass die MacRaes es selbst in die Luft gesprengt haben.«
»Ja, bei Gott. Und ich würde genau das Gleiche tun, bevor ich den verdammten Rotröcken das Haus unserer Familie überlasse. Bei dir ist das vielleicht anders, schließlich bist du kein …«
Wofür er seinen Bruder hielt, oder auch nicht, Lachlan kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Blitzschnell hatte er wieder das Messer an seiner Kehle.
»Halt den Mund!« Der Hass aus Alans eisigen Augen ließ seinen Bruder zusammenzucken. Eine rote Linie erschien auf seinem Hals.
»Du bist verrückt, das ist der Beweis«, brüllte er und hielt seine Hand auf die blutende Wunde.
»Lachlan …«
»Bleib mir vom Leib, du Wechselbalg, und schaff dieses Weib aus unserem Haus.« Wütend stürmte Lachlan aus dem Stall.
Alan war totenbleich geworden und lehnte sich an einen Holzbalken. Als er mich erblickte, sog er scharf die Luft ein. »Geh von dem Pferd weg – es duldet niemanden in seiner Nähe«, sagte er möglichst ruhig.
»Bist du so gefährlich wie dein Herr?« Brandubh rieb zur Antwort seinen Kopf an meiner Schulter. Ich verlor das
Gleichgewicht, und er schubste mich spielerisch zu Boden. Das Kichern, das in mir aufstieg, klang mehr als nur ein wenig hysterisch, aber ich konnte es nicht mehr unterdrücken und ließ mich schließlich von einem Lachkrampf geschüttelt rücklings ins Heu sinken. Die Spannung der vergangenen Minuten löste sich in dem befreienden Lachen.
Als ich mich endlich wieder fasste, hockte Alan vor mir und tupfte mir mit meinem Schürzenzipfel behutsam eine Träne aus dem Augenwinkel. »Du bist ein seltsames Mädchen, was fange ich nur mit dir an?« Er reichte mir ein Taschentuch für meine laufende Nase, verlegen griff ich danach.
Wie schrecklich es war, von seiner Familie abgelehnt zu werden, das wusste ich selbst nur zu genau. Sie hatten mich so schnell wie möglich ins Internat abgeschoben, meine Eltern waren vor ihrem Tod mir gegenüber bestenfalls gleichgültig gewesen, und mein Onkel, der sich als rechtmäßiger Erbe der Reederei sah, hasste mich – ebenso wie seine Söhne – von ganzem Herzen.
Etwas von dem Mitgefühl für ihn musste sich in meinem Gesicht gezeigt haben, denn Alans Züge wurden undurchdringlich und abweisend. Er reichte mir seine Hand und zog mich auf die Beine. »Wir müssen herausfinden, woher du gekommen bist.«
»Meine irischen Verwandten haben mich sicher nicht geschickt. Wie konntest du dir nur solch eine Geschichte ausdenken? «
»Fällt dir etwas Besseres ein? Als Cousine stehst du zumindest unter meinem persönlichen Schutz.«
»Den Eindruck hatte ich gerade nicht. Ist dein Bruder immer so ein grober Kerl?«
»Er ist kein schlechter Mensch, Joanna«, sagte Alan zu meinem
größten Erstaunen leise. »Es stimmt, was er sagt, wir brauchen diese Verbindung. Der Herzog ist sehr einflussreich und
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