Wind Der Zeiten
zu hüten«, knurrte ich leise. »Typisch Mann eben.«
Die Tür zum Hof war unverschlossen, und als ich hinausblickte, blendete mich das Sonnenlicht so sehr, dass ich beinahe die hölzernen Stufen hinabgestolpert wäre. Glücklicherweise gab es außer ein paar Hühnern und einem dreibeinigen Schaf keinerlei Zeugen für meine vorübergehende Orientierungslosigkeit. Auch die Frauen, die ich von oben gesehen hatte, waren verschwunden. Mein knurrender Magen half mir, das Küchengebäude auch aus dieser Perspektive sofort zu erkennen. Ich ging näher und beobachtete durch die Fenster einige Küchenmädchen und Mòrag, die gerade duftende Brotlaibe aus dem Ofen zogen.
Eines der Mädchen entdeckte mich und ließ vor Schreck ihr Brot fallen. Sofort bekam sie einen Rüffel. Eine ältere Frau schimpfte, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich zu mir um. Schnell bückte ich mich, denn ich wusste aus Erfahrung, dass Köchinnen es nicht schätzten, wenn man ihren wohlorganisierten Arbeitsablauf störte. Und dass dies die Köchin war, daran hatte ich keinen Zweifel. Sie sah mit ihrer weißen Schürze und der steifen Haube aus wie einem Bilderbuch entstiegen, und die rosigen vollen Wangen rundeten das Bild noch ab.
Die lautstarke Schimpftirade verstummte, und plötzlich öffnete sich die Tür.
Zu meiner Erleichterung war es aber Dolina, die heraussah und mich zu sich winkte. »Wenn du weiter das Gespenst am Fenster spielst, bekommen die Herrschaften heute Abend nichts zu essen.«
Keines der Mädchen wagte es, den Blick zu heben, nur Mòrag lächelte mich schüchtern an.
»Och, Dolina, du hast ja nicht gesagt, dass sie so dünn ist«, tadelte die Köchin Mòrags Mutter nun mit viel freundlicherer
Stimme und kam herbeigewatschelt. Sie betrachtete mich, wie man ein hungriges Kätzchen ansieht, und ich hätte mich nicht gewundert, wäre sie losgegangen, um mir ein Schüsselchen Milch zu holen.
Stattdessen zog sie ein langes Messer hervor, schnitt eine dicke Scheibe vom noch warmen Brot herunter und schob sie zusammen mit frischer Butter und etwas Käse auf einem Holzteller zu mir herüber. »Komm, Mädchen, setz dich und iss!«
Ich wurde auf die Holzbank gedrückt, und vor mir tauchte eine Schale mit dampfender Suppe auf, die ich bald darauf gierig herunterschlang. Großmutter wäre vermutlich vom Schlag getroffen zu Boden gesunken, hätte sie mich dabei gesehen, wie ich freiwillig Graupensuppe aß. Diese hier war aber auch ungleich leckerer als der zähe Eintopf meiner Kindheit, dachte ich in einem Anflug schlechten Gewissens. Etwas ähnlich Köstliches wie diese Broth , so nannte die Köchin ihre Suppe, hatte ich selten zuvor gegessen.
Während ich meinen Löffel in den Nachschlag tauchte, schaute ich mich unauffällig um. Die jungen Frauen waren an ihre Arbeit zurückgekehrt und sangen dabei Lieder, die in meinen Ohren sehr fremdartig klangen. Tatsächlich hätte ein unvoreingenommener Zuhörer die Wurzeln dieser Melodien eher in Afrika ansiedelt als hier im hohen Norden. Das Mehl auf dem gescheuerten Holztisch stob unter ihren Händen auf und zeichnete feine Linien ins Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinschien. Im Ofen knackten Holzscheite, und die unterschiedlichsten Düfte lagen in der Luft. Diese Atmosphäre strahlte so viel Frieden und Heiterkeit aus, dass alle erschrocken zusammenfuhren, als plötzlich die Tür aufflog. Ein Hüne mit langem blonden Haar füllte den Rahmen vollständig
aus, musste sich sogar bücken, um sich nicht den Kopf am Türsturz anzuschlagen.
»Wo ist die Hure?« Seine Stimme klang wie das Grollen eines nahenden Gewitters, und mit gefurchter Stirn ließ er den Blick über die vor Scheck erstarrten Mädchen gleiten.
»Lachlan MacCoinnaich, der Bruder des Chieftains«, flüsterte Mòrag mir zu.
Ich hätte Alans Bruder so gekleidet fast nicht wiedererkannt. Als er mich erblickte, kam er drohend an den Tisch und packte meinen Arm so fest, dass mir gar nichts anderes übrigblieb, als aufzustehen und ihm stolpernd aus der Küche zu folgen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mòrag zum Haus lief, während der Kerl mich quer über den Hof hinter sich herzerrte. Sein Ziel war der Stall, und kaum waren wir drin, schlug er die grob gezimmerte Tür hinter sich so vehement zu, dass sie noch zweimal aufsprang, bevor sie endgültig ins Schloss fiel.
Der Wahnsinnige presste mich brutal an eine hölzerne Trennwand. Ich wollte gar nicht wissen, was in seinem Kopf vor sich ging. Der Blick, den er
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