Wind Der Zeiten
ein irischer Händler, war
überraschend verstorben, was die Tagebuchschreiberin jedoch nicht besonders zu betrüben schien. Tatsächlich erwähnte sie auf den folgenden Seiten sogar, wie befreiend es war, durch das Haus zu gehen, ohne ständig von ihrem Mann getadelt oder für die kleinsten Vergehen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sofort fühlte ich mich mit ihr verbunden. Sie zeichnete das Bild eines autoritären Despoten, der zu Gewalttätigkeiten neigte, und daher war ich nicht überrascht, als ich las, er habe keine Skrupel gehabt, sein Geld auch mit Sklavenhandel zu verdienen. Immerhin verhalfen der Witwe die Gewinne aus diesen Geschäften zu einer gewissen Unabhängigkeit. Leider aber auch zu mehr Verehrern, als es ihr angenehm war.
Sie hatte geschrieben: »Die Beisetzung sollte in kleinem Kreise stattfinden, doch dann tauchten von überall Repräsentanten der Compagnie auf, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Darunter ein paar äußerst zwielichtige Gestalten. Ich bekam Angst, es wären Gläubiger, doch unser Kontorvorsteher Jan Van Ruysdael beruhigte mich und erklärte mir, das Gegenteil sei der Fall. Viele dieser Männer, sagte er, stünden tief in Johns Schuld, denn entgegen aller christlichen Grundsätze hatte mein Mann Geld zu horrenden Zinsen verliehen. Ich war schockiert. Jeder bekannte Geldverleiher in unserer Stadt, erfuhr ich bald, genoss einen besseren Ruf als John O’Leary.«
Danach folgten einige Eintragungen, die ich kaum entziffern konnte, die sich aber zumeist um häusliche Probleme drehten. Offenbar war ihr dieser Jan in der schweren Zeit eine große Hilfe gewesen.
»Ohne Mijnheer Van Ruysdael hätte ich es nie geschafft, das Dagregister weiterzuführen. Seine Unterstützung ist mir sehr gedeihlich.« Doch bald notierte sie: »John ist nicht einmal vier Wochen unter der Erde, und heute erhielt ich bereits
den ersten Heiratsantrag. Auch Mijnheer Van Ruysdaels Avancen sind derweil höchst verdrießlich. Es ist eine Schande, wie schutzlos eine anständige Frau sich heutzutage ohne Mann im Hause fühlen muss.«
In diesem Stil ging es weiter, und ich blätterte vor, bis mir ein Name ins Auge fiel: Baron Kensary, Alexander MacCoinnaich of Gleann Grianach – Alans Vater. Die Tagebücher gehörten also tatsächlich seiner Mutter. Sie berichtete von Alexander, er sei ein schottischer Edelmann, der erfolgreich in die niederländische V.C.O., die Verenigde Oostindische Compagnie, investiert und damit ein Vermögen gemacht habe.
Der Mann schien sein Glück kaum fassen zu können, dass ihm die schöne Irin bereits nach drei Monaten intensivster Werbung in der neuen schottischen Kirche von Rotterdam das Jawort gab, und trug Keriann fortan buchstäblich auf Händen. Ich las, dass seine Hingabe ein wahres Geschenk für die Frau war. Er war adlig und wohlhabend. Dennoch hatte er eine Witwe und Ausländerin geheiratet. Sie war überglücklich und liebte ihn von Herzen.
Ein Jahr später wurde Alan geboren. Die neue Lady von Gleann Grianach hatte nach langen Wehen viel Blut verloren und erholte sich nur langsam. Alexander allerdings zeigte sich sehr stolz, und trotz ihrer Schwäche notierte die glückliche Mutter fast täglich, wie gut sich das Kind entwickelte. Über ihren eigenen Zustand schrieb sie wenig, aber ich hatte den Eindruck, sie sorgte sich, ob sie eine solch schwere Geburt noch einmal überstehen würde. Etwa drei Wochen nach der Niederkunft schrieb sie: »Seit Tagen warten wir auf den Priester. Kenna MacCoinnaich, die Hebamme, will bis zur Taufe morgens und abends ein Schutzfeuer um die Krippe herumtragen, doch Alexander hat es verboten. Ich versuchte, ihn zu
überzeugen und sagte: Die Leute glauben an solche Dinge und fühlten sich wohler, wenn du es erlauben würdest. Was kann es schaden? Doch es half nichts, er duldete keinen Aberglauben in seinem Haus.
Heimlich schlugen Kenna und ich aber trotzdem in jede Seite von Alans Krippe einen eisernen Nagel, damit die Feen meinen Sohn nicht stehlen und mir ein Wechselbalg unterschieben konnten. Zu meinem eigenen Schutz nahm ich des Abends den großen Schlüsselbund mit ins Bett, das musste genügen.«
Die nächsten Eintragungen waren kaum leserlich, als habe Keriann sie in höchster Eile oder Verzweiflung notiert: »Alan ist krank. Er schreit den ganzen Tag. Wenn er sich überhaupt anlegen lässt, dann erbricht er die Milch sofort wieder. Meine Brüste schmerzen entsetzlich, und wir haben eine Amme aus dem Dorf kommen lassen.« Zwei Tage
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