Wind Der Zeiten
zu haben. Hast du nicht gesagt, Duncan gehöre nicht zu dieser Bande?«
»Das tut er auch nicht, aber James vermutet, dass William und seine Spießgesellen etwas planen und beobachtet sie schon seit geraumer Zeit.«
Das erklärte natürlich einiges. Deshalb also hatte mich
James gestern Abend nicht aus den Augen gelassen. Vermutlich war er neugierig. Vielleicht traute er mir ja auch nicht. »Ihr drei glaubt doch aber nicht etwa, dass Alan und ich irgendwelche Geistwesen sind?«, fragte ich misstrauisch.
»Würde ich dann hier mit dir sitzen?« Mòrag lachte. »Aber jetzt sag schon, war er wirklich die ganze Nacht bei dir?«
Ich war auf alles Mögliche gefasst gewesen – darauf, dass sie mich für eine Wahnsinnige oder gar eine Hexe halten würde, dass sie schreiend davonlief und nie mehr ein Wort mit mir redete. Aber dass mein amouröser Fehltritt mit ihrem Chief sie mehr interessierte als meine abenteuerliche Herkunft oder eine mögliche Verbindung mit den gefürchteten Feenwesen dort oben in den Bergen, ließ mich für einen Moment verstummen.
Doch Mòrag ließ nicht locker, und schließlich erzählte ich ihr, wie Alan auf mich gewartet und dann einen Streit wegen meines angeblich leichtfertigen Verhaltens, besonders James gegenüber, begonnen hatte. Auf die folgenden Ereignisse ging ich nicht näher ein, was sie mit einem wissenden Lächeln quittierte. Es tat gut, eine Freundin zu haben.
Mittags stieg ich auf den Turm. Hier oben hoffte ich, befreit meinen Gedanken nachhängen zu können. Dieses Mal allerdings vertrieb mich nach wenigen Minuten ein heftiger Schauer. Ich hatte überhaupt nichts vom Wetterumschwung bemerkt, bis es mir vorkam, als habe jemand das Licht ausgeknipst. Der Wind trieb den Regen waagerecht vor sich her, und ein einzelner Tropfen sah groß genug aus, um einen Menschen bis auf die Haut zu durchnässen. Für jemanden von meiner Größe reichte der Guss jedenfalls aus, um mich fast zu ersäufen. Schnell brachte ich mich in Sicherheit.
Vom Fenster meines Zimmers aus beobachtete ich wenige
Minuten später, wie der Himmel aufriss und sich das Licht in Milliarden Wassertropfen brach. Über dem See stieg ein Regenbogen empor, direkt in die nächste nachtschwarze Wolkenwand hinein. Zu bald verschwand diese Erscheinung, und weitere Schauer rasten herbei, unter denen sich die Bäume duckten wie verängstigte grün gekleidete Kinder.
James hatte mit seiner Wetterprognose gestern Abend Recht behalten. Über dem Tal hingen dicke Wolken, und von der Sonne war nun ebenso wenig zu sehen wie von Loch Cuilinn. Die Schatten in meinem Zimmer und die durchnässten Kleider ließen mich frösteln. Schnell schürte ich das Feuer, bis die Flammen hellloderten und ich mich, jetzt nur noch im Hemd, daran wärmen und trocknen konnte. Eine Erkältung wollte ich mir auf keinen Fall einfangen. In einer Welt ohne Papiertaschentücher, Halspastillen und im schlimmsten Fall ohne Antibiotika war schon ein kleiner Schnupfen für mich eine beängstigende Vorstellung.
Nachdem ich alle Kerzen angezündet hatte, derer ich habhaft werden konnte, ging es mir gleich viel besser. Genau die richtige Atmosphäre, um mich noch einmal auf die Suche nach dem Geheimnis der Verbindungstür zu Alans Räumen zu machen. Doch sosehr ich suchte, ich fand lange keine verborgenen Riegel oder andere Öffnungsmechanismen in der Holzvertäfelung. Gerade wollte ich das sinnlose Unterfangen aufgeben, als ich plötzlich eine feine Unebenheit mit den Fingerspitzen ertastete, die mir auch nur deshalb auffiel, weil sie wie mit dem Lineal gezogen wirkte. Mit geschlossenen Augen ließ ich den Zeigefinger auf der waagerechten Line entlanggleiten. Nach etwa zehn Zentimetern endete sie, aber es dauerte nicht lange, da fand ich die senkrechte Weiterführung, die in die Höhe führte, und am Ende hatte ich ein vollkommen
gleichmäßiges, ziemlich großes Rechteck ausgemacht, das sich direkt vor meiner Nase befand. Ein Messer oder etwas ähnlich Spitzes, mit dem man die eingelassene Platte hätte heraushebeln können, wäre praktisch gewesen. Als ich mich umdrehte, um mich nach einem geeigneten Werkzeug umzusehen, musste ich mich wohl an der Vertäfelung abgestützt haben. Sie gab jedenfalls mit einem protestierenden Knarren nach. Erschrocken zog ich meine Hand zurück.
Nicht aber der Durchgang zu Alans Schlafzimmer öffnete sich mir, sondern ein verborgenes Versteck. Die Mechanik funktionierte schwerfällig, als wäre sie schon lange nicht mehr
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