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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Freßschlags mit Schlagring sehr unangenehm sind und daß wirklich blaue Augen hinabreichen können bis zum Mundwinkel, wenn es darauf ankommt. Er lernte auch die ersten beiden Grundnuancen der erstaunlich breitgefächerten Prellungsfarbenskala kennen, nämlich das dunkelviolette, speckige Glänzen und das Tollkirschenschwarz. Die Ärztin hatte die Erstversorgung seiner Verletzung übernommen sowie auch eine genauere Untersuchung seines rechten Knöchels und ihm danach ihren Namen mitgeteilt: Antje. Eddie hatte ihr gestanden, daß er in Wirklichkeit gar nicht Eddie, sondern Eduard hieß. Antje hatte gelacht. Dann hatten sie miteinander geschlafen. Das war für Eddie eine gleichzeitig beglückende, schmerzliche und lehrreiche Erfahrung. Beglückend wegen des inneren Strahlens, das in ihm ausgelöst wurde, tief in der Nacht (er freute sich, daß Antje nicht auch so viel Angst hatte wie er). Schmerzlich, weil sie ihm einmal ins Gesicht langte und seinen Schädel beinahe zum Platzen brachte (»Macht nichts, macht nichts«). Lehrreich, weil er niemals mit den Schuldgefühlen gerechnet hätte, die ihn deswegen überfielen. Der erste Satz, den Tina korrekt zusammenbaute, nachdem sie aus ihrem Kerrang-Koma herausgekommen war, lautete:
    »Du hast sie gebumst.«
    Das sagte sie natürlich, um die fehlende Woche in ihrem Leben wegzuwischen, in der sie tief innen nichts gehört hatte außer einem langgezogenen Klagelaut, der von jemand anders zu kommen schien (nicht einmal das Massaker in Hamburg hatte sie noch richtig in Erinnerung). Aber es traf ihn doch.
    »Wie kommst du darauf«, antwortete Eddie und fühlte die Wärme aufbranden bis zu seinem Haaransatz.
    »Glaubst du, ich bin doof? So was kriege ich mit, Koma hin oder her. Du hast sie gebumst und fühlst dich jetzt königlich. Die wickelt dich um den Finger wie ein Haar.«
    Durch seine Bestürzung hindurch bemerkte Eddie dann glücklicherweise, daß Tina wirklich eifersüchtig war, und es war ihm nicht egal, oh nein. Eddie lernte also Antje kennen und die Schwärze der Frau und die Eifersucht Tinas und außerdem noch den Tätowierten, der sich Neonbaby nannte und der auf der ganzen weiten Welt vor allem anderen für zwei Vereinigungen musizierender Männer schwärmte: erstens waren das die »Schdohns« (die er so nannte, obwohl er wußte, daß sie so nicht hießen) und zweitens eine zeitgenössische Truppe von Psychoknüpplern namens »Spreading The Virus« (oder STV), die im Moment die angesagtesten Gehörzertrümmerer in der Boloszene waren. Eddie hatte schon auf dem Herweg die Plakate überall kleben sehen. Außer der bedingungslosen Hingabe an die Schdohns und STV, die Neonbaby eindeutig als runderneuerten Äbbelwoitrinker der digitalen Art auswiesen, fiel an ihm noch die Eigenart auf, sich möglichst unpassend in Gespräche einzubringen. Neonbaby war der Erzengel des asemantischen Sprachgebrauchs. Es konnte zum Beispiel vorkommen, daß er während einer Pause, in der allen anderen der Gesprächsstoff ausgegangen war, schlicht und treffend bemerkte: »Eins und eins macht zwei.« Oder er versteifte sich auf Einwortkommentare wie: »Schildkrötensuppe.« Es kam Eddie manchmal vor, als könne man durch sehr langes, konzentriertes Nachdenken irgendeine Brücke zwischen dem, was zuletzt besprochen worden war, und Neonbabys Kommentaren herstellen, aber als er die Probe aufs Exempel machte, kam er höchstens zwei Assoziationen weit und versank danach im Treibsand der Begriffe. Mick Jagger lebte jetzt als ein hormongebadeter Zellhaufen in einem weltweit transportierbaren Kryogentank (Aufschrift: »Like a rolling stone«) und ließ sich, wie auch alle anderen »Schdohns«, während der stets ausverkauften Konzerte durch eine holographische Projektion vertreten (New Stones Album »Breakin’ all them rules« out now). STV druckten auf die Eintrittskarten für ihre Konzerte Erklärungen, die sie von jeder Verantwortung für psychische Schäden befreiten, die unmittelbar oder mittelbar in Zusammenhang mit ihrer Musik auftreten mochten, und niemand kam in die pechschwarzen Konzerthallen hinein, ohne das unterschrieben zu haben. Neonbaby trug photoaktive Tätowierungen, die sich in Kunstlicht aufluden und dann auch im Dunkel leuchteten (vorausgesetzt, Neonbaby drückte nicht auf ein kleines Sensorfeld in seinem Nacken). Das alles ließ sich schlecht unter Begriffen wie »Schildkrötensuppe« oder »Tesla« zusammenfassen. Aber eines wußte Eddie ganz genau: Neonbaby war nicht

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