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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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unklaren Situation wie dieser, er war auch noch glücklich, als einige der Bewaffneten ihre Gewehre hoben. Kein Schuß. Eddie fiel durch die Ziellinie in einen Wald von Armen, aber er wollte jetzt noch nicht zusammenbrechen, in seine Adern rollte noch kalter Rauch, er wollte dort sein, wo die großen Kinder spielten, und sie spielten jetzt noch auf der Straße. Auch Tina kam jetzt gelaufen, die Spraygun in der Hand. Neonbaby hatte gemerkt, daß ihm sein Wild durch die Lappen zu gehen drohte, und er setzte Tina in großen Sprüngen hinterher. Die Ausschüssler hatten mittlerweile alle ihre Waffen erhoben, auch einige sehr exotische dabei, aber Neonbaby hielt sich geschickt in Tinas Schatten, kein Schußfeld. Dann stürzte sie. Dann sprang Neonbaby. Ein unmenschlich hoher und weiter Sprung. Tina rollte im Elan ihres eigenen Sturzes zur Seite. Polk. Neonbaby, die Arme wie zum Flug ausgespannt, wurde vom Aufprall der Nadeln hochgeruckt und krachte bäuchlings aufs Parkett. Auf seinem Rücken hundert Krater. Tina aufspringend wie eine Feder und in die Menge stürzend. Das Babymammut zur Seite geneigt, wie ein Schiff mit Schlagseite. Körper auf der Straße verstreut. Neonbabys Hände leuchteten.
     
    Es wurde später behauptet, es habe so etwas wie eine landesweite Führung des Aufstands gegeben, aber das war Unsinn. Die Bullen hatten selbst mehr oder weniger geahnt, wo die Kacke am heftigsten dampfen würde, dort hatte es auch die heftigsten Kämpfe gegeben. Eine Rechnung der Aufständischen ging auf: die Militärs waren in Schwierigkeiten geraten, als sie Truppen aus dem Ausland zurückholen mußten, um den Aufstand niederzuschlagen, als diese Schwelle erreicht war, kam es zu Verhandlungen. Aber bis dahin hatte es eine Menge Tote gegeben, einige schätzten 700, andere 10.000, die wahren Zahlen gab das Innenministerium nie bekannt. Für die meisten stellte sich der Aufstand nachher als Nullsummenspiel dar. Die Aufstandsbolos hatten hauptsächlich um mehr Autonomie gekämpft, um eine tatsächliche Exterritorialität, zwar wurde als Ergebnis die »interne Überwachung« der Bolos, die sich sowieso nicht als besonders effektiv erwiesen hatte, eingestellt, aber im Gegenzug dazu mußten alle Aufstandsbolos einer Totalinventur zustimmen, nichts, was dort geheim geschehen war, sollte weiterhin geheim bleiben. Ein hoher Preis für ein wenig mehr Autonomie, der Abfluß aus den Bolos in die staatlichen Laboratorien war enorm. Das Strahlungenbolo war ausradiert worden, nachdem ein Scharfschütze Cozmic erwischt hatte. Cozmic hatte mit der nuklearen Verseuchung Frankfurts gedroht, und sie hatten ihm erst geglaubt, als er schon tot war und die ersten Techniker sicherheitshalber ihre Geigerzähler auf die Pfeiler in der unterirdischen »Disco« gerichtet hatten. Als er vom Ende des Strahlungenbolos hörte, fragte sich Eddie, der noch tagelang mit Vergiftungserscheinungen zu kämpfen hatte, was aus Antje geworden war. Strahlungen. Das hatte Cozmic immer gewollt. Eine Nuklearmacht sein. Eddie fand diese Begeisterung für eine rückwärtsgewandte Technik bedauernswert. Die Militärs hatten es nicht mit allen Bolos gleichzeitig aufnehmen wollen. Der Wohlfahrtsausschuß war nach einigem hin und her verschont geblieben, vor allem, weil er zwei Geiseln und die unangenehme Wahrheit vorzuweisen hatte, daß die Leichen um das Babymammut herum nicht auf das Konto des Ausschusses gingen, sondern auf das eines Assassinen. Bullen und Techniker durchsuchten das Bolo, begleitet von bewaffneten Ausschüsslern. Weil der Wohlfahrtsausschuß nicht zu den Aufstandsbolos gehört hatte, durften sie nur hinsehen und filmen, aber nichts mitnehmen. Die Stäbe auf Tinas Labortisch übersahen sie glatt. Dann war der Aufstand auch hier Geschichte.
     
    Eddie wußte nicht weiter. Der kalte Rauch zog sich langsam aus seinen Adern zurück, die Durchsuchungen gingen vorbei, er war Gast im Wohlfahrtsausschuß, in Tinas Haus, er wußte nicht weiter. Er schlief mit Tina, ratlos-rastlos, er wußte nicht weiter. Es wurde Sommer. Es war diese Inselunruhe in ihm, und einmal nachts sprang er aus dem Bett auf und ging ans Fenster, so lange hatte er darüber nachgedacht, den Wasserläufer im Hafen zu suchen, und dahin zurückzugehen, wohin er in Wahrheit gehörte: auf eine Windinsel. Auf seine Windinsel. Im Sommer hatte er unter Möwen gesessen, die Beine baumelnd aus einer Sichtluke, das Wasser, ein grünes Weizenfeld, umspülte die Pfeiler. Einmal hatte er so lange dort

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