Wind & Der zweite Versuch
hinuntergesehen, bis ein Wal die Pfeiler umrundet hatte, von so hoch oben eine schwarze flache Ellipse, aus deren vorderem Brennpunkt Dampf aufstieg. Dann das Dreieck der Schwanzflosse, und dann nichts als ein kleiner Strudel im grünen Weizenfeld des Meeres. Er hatte den Wal mit dem kleinen Tauchroboter verfolgen wollen, der eigentlich dazu da war, die Seepocken und das andere Gelumpe unter der Wasserlinie von den Pfeilern zu kratzen, aber bis das kleine Gerät seine Leuchtfinger in die See gesteckt hatte, war der Wal schon längst verschwunden. Eddie vermißte den Anblick der Cesarinirotoren bei der Entfaltung, das Gefühl ein Kapitän zu sein, wenn auch auf einem Schiff, das nicht fuhr, er vermißte die Freiheit, die knappen Gespräche mit Tibor und Josina, all das. Er war ein Windheini, nichts sonst. Brauner hatte ihm die Lebensweise genommen, die ihm am besten paßte. Eddie sah endlich ein, daß dieses nächtliche Fenster mit seinem trüben Blick auf die nächste Mauer auch nichts hergab, und setzte sich auf einen Stuhl in Tinas Zimmer, bis ihr Schlafatem seinem den Rhythmus aufgeprägt hatte.
Tina mußte vor die Sicherheitskommission des Bolos. Der Wohlfahrtsausschuß war trotz seines legeren Äußeren ein durchorganisiertes Gemeinwesen, und jetzt, nachdem sich der Pulverdampf gelegt hatte, wollte das Bolo Erklärungen. Zum Beispiel für die Tatsache, daß ein Assassine hinter ihr hergewesen war. Wo ihr Rad war. Was es mit Eddie auf sich hatte. Wer die Typen gewesen waren, die sie hierher zurückgebracht hatten. Solche Sachen. Die Untersuchung, zu der Eddie nicht eingeladen worden war, dauerte eine ganze Weile. Eddie sah sich währenddessen aus reiner Neugier einmal an, was auf den zwei anderen Stäben gespeichert war. Brauner hatte ja behauptet, da seien nur Sicherheitskopien geparkt, aber als Eddie diese Sicherheitskopien überprüfen wollte, mußte er entdecken, daß Brauner ihn angelogen hatte. Die beiden anderen Stäbe sagten, daß der fabelhafte Wirkungsgrad der Gezeitenmaschine zwar möglich war, aber nur mit Werkstoffen, die noch nicht existierten. In einer Art Vermächtnis erklärte der tote Brauner, daß die Gezeitenmaschine noch mindestens fünf Jahre bis zur Serienreife brauchte, immer vorausgesetzt, man hatte Kapazitäten im Rücken wie die Impact. Aber die Impact hatte Brauner die fünf Jahre nicht geben wollen und ihm andererseits verboten, sich mit der Presse oder irgendwem sonst über die Gezeitenmaschine zu unterhalten. Man habe seine Ideen zum geheimen Firmeneigentum erklärt. Und deswegen habe er sich entschlossen, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Er habe sich mit seinen Prioritäten Zutritt zu Eddies Profilen, Beurteilungen und Einstellungstests verschafft (siehe Anhang C), und ihn zum postillon d’amour erkoren. Sogar der Grund für seinen kommenden Selbstmord hatte Brauner angegeben: Müdigkeit. Ende der Durchsage. Eddie konnte nicht einmal mehr lachen, nachdem er sich all diesen Scheißdreck reingezogen hatte. Er saß noch in Tinas Küche, als sie von der Untersuchung zurückkam. Das erste, was sie sagte, war:
»Sie schmeißen uns raus.«
Und er antwortete:
»War alles umsonst.«
Sie wurde nicht einmal so wütend, wie er sich das vorgestellt hatte. Sie setzte sich nur resigniert hin, auf den Stuhl in der Küche, die bald nicht mehr ihre eigene sein würde.
»Hab ich ja so kommen sehen«, sagte sie. Und nach einer Pause:
»Wir kriegen eine Eskorte. Wohin wir wollen.«
Bei Eddie löste dieser letzte Satz gemischte Gefühle aus. Einerseits hatte Tina gerade eben so selbstverständlich ihn und sich selbst zu einem »wir« zusammengefaßt, wie er sich das manchmal unter den Windrädern in der Nacht gewünscht hatte. Andererseits: wohin wollten sie denn? In diesen unsicheren Zeiten.
Eddie wollte vom Thema ablenken.
»Hast du Neonbaby eigentlich absichtlich getroffen?«
Sie schüttelte müde den Kopf. Zwischen den Händen eingeklemmt.
»Schweineglück. Reiner Reflex.«
Sie ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. Eddie streichelte ihre Stacheln. Jetzt schon wie selbstverständlich.
Dann aber war der Sommer mit aller Macht ausgebrochen, ein stummer Sommer, ohne Stimme, ohne Beat, der Beat dieses Sommers war verbraucht von dem Aufstand, verpulvert, erstickt, heiße Asche. Hätte immer noch etwas entzünden können, das ihr zu nahe kam, da war nichts mehr zum Entzünden. Die ersten »Rädelsführer« gingen schon ab in den Knast, in die Zwangsarbeit
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