Wind & Der zweite Versuch
in Begleitung einer Einsatzgruppe von drei bewaffneten Beamten des Gebühreneinzugsamtes brauchte sie auch Gewalttätigkeiten nicht zu fürchten. Trotzdem machte ihr dieser Fall Bauchweh, seit sie den Namen des Klienten und seine Adresse gelesen hatte. Manfred Brenner hieß der Mann, und er wohnte in Frankfurt-Mitte. Während der Name ihr aus keinem bestimmten Grund mißfiel, brauchte das Unbehagen, was die Adresse betraf, überhaupt keine Erklärung. Frankfurt-Mitte war der Arsch der Welt, was das vereinigte Süddeutschland anging, offiziell ein sogenanntes »Förderungsgebiet«, in Wirklichkeit ein nahezu exterritorialer Slum. Jemand, der sich in Frankfurt-Mitte aufhielt, ohne dort zu wohnen, war entweder von der Polizei oder er handelte mit illegalen Waren oder er kam vom Gebühreneinzugsamt. Dementsprechend mußte sich Verena noch einige ausgestreckte Mittelfinger ansehen, bevor sie das Haus betrat, und was ihr dazu hinterhergerufen wurde, war auch nicht freundlicher. Das ignorierte sie, trotzdem wollte sie diesen Tag am liebsten schon hinter sich haben, als sie die Stufen zum vierten Stock hochstieg. Als einer der Beamten seine Waffe zog, wies sie ihn an, sie wieder zurückzustecken. Die Treppe war nicht mehr ganz intakt, hier und da fehlten die Holzdielen im Boden, die Wände sahen aus, als hätte man einigen Fünfjährigen mit Sprühdosen völlig freie Hand gelassen, und es mochte wohl sein, daß die Lampeneinfassungen über den Treppenabsätzen einmal Glühbirnen enthalten hatten, jetzt waren sie jedenfalls leer. Es war still im Haus, die Bullen waren da. Auch diesen Effekt kannte Verena schon lange. Auf der Höhe des dritten Stocks hörte sie, wie weiter oben eine Tür geschlagen wurde, das war alles. Vierter Stock. Die Tür zu der Wohnung hing lose in den Angeln, es war ein Loch darin. Dahinter war es relativ hell, eine einzelne Glühbirne von uralter Machart baumelte von der Decke herab, und in ihrem Licht erkannte Verena, daß diese Wohnung ein typischer Hühnerstall war: alte, große Wohnungen, die vor zweihundert Jahren Frankfurter Patrizierfamilien und vor hundert Jahren Wohngemeinschaften beherbergt hatten, waren in eine Ansammlung von einzelnen Zimmern verwandelt worden, um dem Besitzer eine höhere Rendite zu sichern. Der Besitzer revanchierte sich für die gestiegenen Einnahmen, indem er grundsätzlich kein Geld in die Instandhaltung des Hauses steckte. Verena ging mit ihrem Begleitschutz durch den Hauptgang der Wohnung, von dem die Zimmer abführten; nirgends gab es Namensschilder, dafür waren die Türen jeweils mehr oder minder phantasievoll bemalt. Eine davon leuchtete in gelben und roten Flammen, ziemlich professionelle Airbrusharbeit, und sie glaubte, fündig geworden zu sein. Auch diese Tür stand offen. Der laufende Fernseher, ein uraltes Flatscreen-Modell, das an der Wand hing, zeigte irgendeinen Porno, sie kannte das Logo des Senders nicht. Davor stand ein riesiger roter Plüschsessel, über die Lehne ragte nur ein Kopf mit Stoppelhaarfrisur hinaus.
»Sind Sie Manfred Brenner?« fragte Verena, und der Sessel drehte sich.
»Kann schon sein«, sagte der Mann.
Er trug ein schwarzes T-Shirt, auf dem Los Angeles Meat Boys aufgedruckt war, und ab der Gürtellinie war er nackt. Seine Beine waren erstaunlich stark behaart, und sein Schwanz hing halb erigiert über seinem linken Oberschenkel. Irgendwie schien er nicht ganz da zu sein, sein Gesichtsausdruck war reichlich schwammig, und in der rechten Hand hielt er einen Revolver, dessen Mündung ungefähr auf Verenas Kopf gerichtet war.
»Weißt du was?« fragte Brenner. »Du siehst total Scheiße aus.« Und dann drückte er ab.
Donald mochte diese Bar nicht, er mochte das Getränk nicht, das der Junge für ihn bestellt hatte, er mochte die Gegend von San Francisco nicht, in der die Bar lag und auch die ganze Stadt mit ihrem Neohippie-Lebenstil war ihm einigermaßen fremd; kein Wunder, denn er war Rechtsanwalt und lebte in Washington, und dort in einem der exklusiveren Viertel. Am wenigsten aber mochte er den Jungen selbst. Schon am Telefon hatte er eine intensive Abneigung gegen den Sarkasmus des Kindes verspürt. Wieso San Francisco? Na, ich bitte Sie, Lebensfreude, das Wassermannzeitalter, fröhliche junge Menschen und keine Autos auf den Straßen, was haben Sie gegen San Francisco? hatte der Junge am Telefon gesagt, und dieser ganze Zynismus machte Donald krank. Und jetzt summte der Kerl die ganze Zeit diesen dämlichen Schlager aus
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