Wind Die Chroniken von Hara 1
ihr mit den Leichen?«, wollte Lahen wissen.
»Lass das mal unsere Sorge sein. Ihr geht?«
»Müssen wir wohl.«
»Dann nehmt den hinteren Ausgang«, empfahl Yola und widmete sich wieder ihren Karten. »Khtatakh, begleite sie. Und danach kümmer dich um die Toten. Die müssen weg.«
Lahen gab Yola einen Kuss auf die Wange. »Ich danke dir für alles.«
»Keine Ursache, Lahen, hat mich gefreut, dir helfen zu können.« Zum ersten Mal lächelte Yola. »Passt auf euch auf. Und viel Glück!«
Der Blasge zog einen Köcher voller Pfeile aus dem Dunkel. Und einen Bogen, bei dem es sich um eine exakte Kopie jener Waffe handelte, mit der ich früher unterwegs gewesen war: ein schwarzer Kompositbogen, ein zuverlässiges Stück.
»Bestens, genau das, was ich brauche«, lobte ich seine Wahl, nachdem ich den Kauf eingehend gemustert hatte.
Khtatakh krächzte zufrieden. »Nur bei den Pfeilen bin ich mir unsicher. Ich gwalaube, ich habe nicht die richtigwen ausgwewählt.«
»Die sind schon in Ordnung«, versicherte ich. »Wirklich.«
»Vergwesst euer Gweld nicht.« Er hielt Lahen den Beutel hin. »Wir kwönnen nicht längwer dafür gwarantieren, denn wir machen uns selbst in der nächsten Zeit davon.«
»Alles Gute, Yola«, verabschiedete nun auch ich mich von der Ye-arre.
»Bis zum nächsten Mal, Grauer.« Sie blickte nicht einmal von ihren Karten auf.
Wir folgten Khtatakh durch einige halbdunkle Zimmer, die mit Stoffballen und Kisten vollgestopft waren. Bei diesem Anblick fiel es mir schwer zu glauben, dass die beiden ihre ganze Ware fortgeschafft haben sollten. Meiner Ansicht nach gab es hier noch derartige Mengen, dass sie ein paar Jährchen ohne Sorgen davon leben konnten. Überall herrschte gewaltige Unordnung. An einer Stelle waren auf dem Boden Schachteln mit wertvollem, gefärbtem Garn aus Sdiss umgekippt. Der Staub tanzte in den Strahlen der Sonne, die durch ein Fenster hereinfielen.
Endlich blieb Khtatakh vor einer Tür stehen, legte den Riegel zurück, steckte einen Schlüssel ins Schloss, öffnete und spähte hinaus. »Die Luft ist rein. Gweht über den Hinterhof, rechts neben dem Schweinestall ist die Pforte. Der Schlüssel liegwat unter einer Platte, auf die ein Frosch gwezeichnet ist. Vergwesst nicht, ihn wieder dort hinzulegwen. Wenn ihr der Gwasse folgwat, kwommt ihr direkwat zum Hafenviertel. Ich hoffe, das Schikwasal führt uns wieder zusammen. Mögwe Khaghun euch beistehen.«
»Der Gott der Blasgen wird sich wohl kaum um Menschen kümmern.«
»Wenn dir die Kwarten der Ye-arre ihren Gwott zeigwen, dann dürfte doch wohl auch der Gwott der Blasgwen auf meinen Freund aufpassen, oder?«
»Da fällt mir noch was ein! Kannst du mir einen Gefallen tun?«
Ich erzählte ihm von Hengst. Ich brauchte das Pferd nicht mehr, wollte es aber auch nicht für immer bei dem Schankwirt lassen.
»Ich werde dafür sorgwen, dass das Tierchen in gwute Hände kwommt. Und jetzt lebt wohl!«
Sobald wir hinaushuschten, fiel die Tür hinter uns wieder ins Schloss.
»Du hast den Dieb bekommen?«, fragte Lahen.
»Ja«, antwortete ich, während ich mich aufmerksam im Hof umsah. »Spielt das irgendeine Rolle?«
»Nein, es ist nur interessant. Soweit ich mich an die Erzählungen von Yola erinnere, ist das eine sehr seltene Karte. Und selbst wenn sie aufgedeckt wird, hat sie nicht immer etwas zu bedeuten.«
»Aber heute schon.«
»Deshalb ist es ja so interessant. Schade, dass ich nicht mit Yola darüber gesprochen habe.«
»Warum das?«, erwiderte ich. »Sie hat gesagt, sie habe die Karten falsch ausgeteilt.«
Eigentlich glaubte ich diese Erklärung selbst nicht, im Gegenteil, der Wahnsinnige und die fünf Tode beunruhigten mich. Man brauchte kein Gelehrter zu sein, um darin die sechs Verdammten zu erkennen, von denen eine wie durch ein Wunder den eigenen Tod überlebt und im Körper eines Dorftrottels ein neues Zuhause gefunden hatte.
Der westliche Teil der Stadt, der an das Viertel der Ye-arre anschloss und sich bis zum Meer erstreckte, hieß Hafenviertel. Es zog sich an einer großen Bucht entlang und hatte die Viertel der Eckensteher und der Kastraten geschluckt. Mittlerweile konnte das Hafenviertel es durchaus mit dem größten Stadtteil, der Mittelstadt, aufnehmen. Wir befanden uns nördlich vom Hafen, in einer Gegend, wo die wohlhabenden Handwerker wohnten. Die Straßen waren recht breit und sauber. Wir verzogen also nicht jede Sekunde das Gesicht wegen irgendeines widerlichen Gestanks und mussten auch nicht
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