Wind (German Edition)
glücklichen Zeit gewesen, bevor sie irregeführt worden und in die traurige Ehebrecherei verfallen war, die sie vor einen Revolver geführt hatte, den eine andere Hand hielt. Meine.
Everlynne stand auf und strich ihre große Schürze glatt. »Ich muss gehen und in anderen Teilen meines kleinen Königreichs nach dem Rechten sehen. Ich sage Euch jetzt Lebewohl, Roland, Sohn von Gabrielle, und bitte Euch nur, die Tür zu schließen, wenn Ihr geht. Sie verriegelt sich von selbst.«
»Ihr vertraut mir Eure Sachen an?«, sagte ich.
Sie lachte, kam hinter dem Schreibtisch hervor und küsste mich wieder. »Revolvermann, Euch würde ich mein Leben anvertrauen«, sagte sie und verließ dann den Raum. Sie war so groß, dass sie in der Tür den Kopf einziehen musste.
Ich saß lange da und betrachtete Gabrielle Deschains letztes Schreiben. Mein Herz war voller Hass und Liebe und Trauer – lauter Empfindungen, die mich seither nie mehr losgelassen haben. Ich überlegte, ob es ungelesen verbrennen sollte, aber schließlich riss ich den Umschlag doch auf. Er enthielt ein einzelnes Blatt Papier. Die Zeilen waren krumm, die Taubentinte, mit der sie geschrieben waren, an vielen Stellen klecksig. Ich ahnte, dass die Frau, die dies geschrieben hatte, darum gekämpft hatte, sich den letzten Rest Vernunft zu bewahren. Ich weiß nicht, ob viele ihre Zeilen verstanden hätten. Mein Vater hätte sie verstanden, dessen bin ich mir sicher, aber ich habe sie ihm nie gezeigt oder von ihnen gesprochen.
Das Festmahl, das ich gegessen, war verdorben
was ich für einen Palast gehalten, war ein Kerker
wie es brennt, Roland
Ich musste an Wegg denken, wie er an dem Schlangenbiss starb.
Gehe ich zurück und erzähle, was ich weiß
was ich belauscht habe
kann Gilead noch für ein paar Jahre gerettet werden
du kannst für ein paar Jahre gerettet werden
dein Vater der sich nie viel aus mir gemacht hat
Die Worte »der sich nie viel aus mir gemacht hat« waren mehrfach dick durchgestrichen, aber ich konnte sie trotzdem lesen.
er sagt, dass ich mich nicht traue
er sagt: »Bleib in Serenitas, bis der Tod dich findet.«
er sagt: »Gehst du zurück, ereilt dich der Tod frühzeitig.«
er sagt: »Dein Tod wird den Einzigen auf der Welt vernichten den du wirklich liebst.«
er sagt: »Willst du von der Hand deines Balgs sterben und sehen wie
alle Herzensgüte
alle Freundlichkeit
alle Zärtlichkeit
aus ihm rinnt wie Wasser aus einer Schöpfkelle?
für Gilead, das sich nie viel aus dir gemacht hat
und ohnehin sterben wird?«
Aber ich muss zurückgehen. Ich habe im Gebet Rat gesucht
und darüber meditiert
und die Stimme, die ich höre, spricht immer dieselben Worte:
DIES IST DAS WAS KA FORDERT
Darunter stand noch mehr, Worte, die ich in meinen Wanderjahren nach der verhängnisvollen Schlacht am Jericho Hill und dem Untergang von Gilead immer wieder mit dem Finger nachgezeichnet habe. Ich habe sie nachgezeichnet, bis das Papier zerfiel, und es dann dem Wind überlassen – dem Wind, der durchs Schlüsselloch der Zeit weht. Denn letzten Endes nimmt der Wind alles mit, nicht wahr? Und weshalb auch nicht. Wozu anders. Wären die Annehmlichkeiten unseres Lebens nicht endlich, gäbe es gar keine Annehmlichkeiten.
Ich blieb in Everlynnes Arbeitszimmer, bis ich die Selbstbeherrschung zurückgewonnen hatte. Dann legte ich die letzten Worte meiner Mutter – ihren Abschiedsbrief – in meine Brieftasche und ging, wobei ich mich vergewisserte, dass das Türschloss einschnappte. Ich fand Jamie, und wir ritten in die Stadt zurück. In dieser Nacht gab es Lichter und Musik und Tanz; viele Leckerbissen und reichlich Drinks, sie hinunterzuspülen. Es gab auch Frauen, und in jener Nacht verlor der schweigsame Jamie seine Unschuld. Am folgenden Morgen …
Der Sturm ist vorüber
1
»In dieser Nacht gab es Lichter und Musik und Tanz«, sagte Roland. »Viele Leckerbissen und reichlich Drinks, sie hinunterzuspülen.«
»Schnaps«, sagte Eddie mit einem halb ernsthaften, halb komischen Seufzer. »An den erinnere ich mich gut.«
Das waren die ersten Worte, die einer der Zuhörer seit sehr langer Zeit gesprochen hatte, und es brach den Bann, unter dem sie in dieser langen, windigen Nacht gestanden hatten. Sie bewegten sich wie Leute, die aus einem tiefen Traum erwachten. Alle bis auf Oy, der weiter vor dem offenen Kamin auf dem Rücken lag, die kurzen Beine von sich streckte und die Zunge komisch aus einer Seite seiner Schnauze hängen ließ.
Roland
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