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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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»Möchten Sie mit ihr fahren?«
    Lloyd war hin- und hergerissen. Er wollte Millie nicht im Stich lassen; andererseits musste er Bernie und dem Jüdischen Volksrat berichten.
    Millie befreite Lloyd mit dem für sie typischen Temperament aus seinem Dilemma. »Wag ja nicht mitzukommen«, sagte sie. »Du kannst sowieso nichts für mich tun, und du hast hier wichtige Arbeit zu erledigen.«
    Sie hatte recht. Er half ihr in den Krankenwagen. »Bist du sicher?«
    »Ja. Sieh lieber zu, dass du nicht auch noch ins Krankenhaus kommst.«
    Lloyd sagte sich, dass Millie in den besten Händen sei. Er küsste sie auf die Wange und kehrte zurück ins Getümmel.
    Die Polizei hatte derweil ihre Taktik geändert. Die Gegendemonstranten hatten die Attacken der Berittenen zwar zurückgeschlagen, aber die Polizei war nach wie vor entschlossen, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Als Lloyd wieder nach vorn kam, stürmten die Polizisten zu Fuß vor und schlugen mit ihren Knüppeln zu. Die unbewaffneten Protestler wichen vor ihnen zurück wie Laub vor dem Wind, drangen an anderer Stelle der Kampflinie aber wieder vor.
    Die Constables begannen mit Festnahmen. Vielleicht hofften sie, die Entschlossenheit der Menge zu schwächen, indem sie die Rädelsführer verhafteten. Im Eastend war eine Festnahme durchaus keine Formsache: Nur wenige Verhaftete kamen ohne blaues Auge oder ein paar neue Zahnlücken aus der Polizeiwache. Das Revier Leman Street hatte einen besonders schlechten Ruf.
    Lloyd fand sich hinter einer lautstarken jungen Frau wieder, die eine rote Flagge trug. Er erkannte Olive Bishop, eine Nachbarin aus der Nutley Street. Ein Polizist schlug ihr seinen Knüppel über den Kopf und brüllte: »Judenhure!« Olive war keine Jüdin und ganz gewiss keine Hure; sie spielte in der Calvary Gospel Hall dasKlavier. Die Ermahnung Jesu, die andere Wange hinzuhalten, ließ sie allerdings außer Acht; stattdessen zerkratzte sie ihrem Peiniger das Gesicht. Zwei weitere Beamte packten sie bei den Armen und hielten sie fest, während der zerkratzte Polizist ihr noch einmal den Knüppel gegen den Kopf schlug.
    Der Anblick, wie drei kräftige Männer eine junge Frau zusammenprügelten, brachte Lloyds Wut zum Überkochen. Er versetzte dem Mann mit dem Schlagstock einen rechten Haken, hinter dem sein ganzer Zorn lag. Der Hieb traf den Polizisten an der Stirn und schickte ihn zu Boden.
    Weitere Beamte strömten herbei, schlugen wahllos mit ihren Knüppeln zu, trafen Arme und Beine, Köpfe und Hände. Vier von ihnen zerrten Olive hoch, jeder an einem Arm oder Bein. Sie schrie und wand sich verzweifelt, konnte sich aber nicht befreien.
    Doch die Umstehenden schauten nicht tatenlos zu. Sie attackierten die Polizisten, die Olive davontragen wollten, und versuchten, sie von ihr wegzuzerren. Die Polizisten wandten sich den Angreifern zu. »Verdammte Judenlümmel!«, brüllten sie, obwohl keineswegs alle Angreifer Juden waren; einer war ein schwarzer Seemann aus Somalia.
    Die bedrängten Polizisten ließen Olive auf die Straße fallen, um sich wütend zu verteidigen. Olive schob sich durch die Menge und verschwand, während der Kampf hin und her wogte. Dann aber zogen die Polizisten sich langsam zurück, wobei sie nach jedem schlugen, der sich in Reichweite befand.
    Lloyd erkannte, dass die Strategie der Polizei nicht aufging. Trotz aller Brutalität waren die Angriffe auf ganzer Linie gescheitert; es war den Polizeibeamten nicht gelungen, eine Schneise in die Menge zu schlagen. Sie unternahmen einen letzten Angriff, doch die wütende Menge schob sich vor und trat ihnen entschlossen entgegen. Ihre Kampflust war erwacht.
    Lloyd hielt es für an der Zeit, Bernie einen weiteren Bericht zukommen zu lassen. Er wühlte sich durch die Menge nach hinten und entdeckte eine Telefonzelle. »Ich glaube nicht, dass die Polizei durchkommt, Dad«, meldete er Bernie aufgeregt. »Sie hat versucht, eine Gasse freizuprügeln, aber wir sind zu viele.«
    »Wir leiten die Leute zur Cable Street um«, sagte Bernie. »Die Polizisten könnten auf die Idee kommen, dass sie dort eine bessereChance haben, und ihre Stoßrichtung ändern. Wir schicken Verstärkung. Geh dorthin, beobachte, was passiert, und melde es mir.«
    »Wird gemacht.« Lloyd legte auf, ehe ihm einfiel, seinem Stiefvater zu sagen, dass man Millie ins Krankenhaus gebracht hatte. Aber vielleicht war es besser, ihn jetzt nicht damit zu beunruhigen.
    Es war nicht einfach für Lloyd, sich durchzuschlagen. Von

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