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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eine Anschlagtafel herunter. Die Erfahrung half den Protestlern, die Barrikade diesmal besser und stärker zu machen.
    Als Lloyd wieder einen Blick über die Schulter warf, wuchs seine Hoffnung noch mehr, denn weiter östlich wurde eine dritte Barrikade errichtet.
    Die Protestler zogen sich nun von der ersten Straßensperre zurück und sammelten sich hinter der zweiten, an der Lloyd mitarbeitete. Wenige Minuten später gelang es der Polizei, eine Bresche in die erste Barrikade zu schlagen. Die Uniformierten strömten hindurch und setzten den wenigen jungen Männern nach, die zurückgeblieben waren. Lloyd sah, wie Dave und Lenny in eine Gasse flohen. Die Häuser auf beiden Straßenseiten wurden verrammelt, Fenster geschlossen, Türen zugeknallt.
    Die überraschten Polizisten wussten nicht, was sie tun sollten. Zwar hatten sie die Barrikade durchbrochen, standen nun aber vor einem zweiten, noch stärkeren Wall. Und wie es aussah, waren sie nicht bereit, auch dieses Hindernis zu beseitigen. Unschlüssig gingen sie in der Mitte der Cable Street auf und ab, redeten gereizt miteinander und blickten mit finsteren Gesichtern zu den Anwohnern hinauf, die sie aus den Fenstern in den oberen Etagen beobachteten.
    Noch war es zu früh, sich zum Sieger zu erklären, doch Lloyd konnte sein Hochgefühl kaum noch zügeln. Es sah immer mehr danach aus, als würden die Antifaschisten den Sieg davontragen.
    Lloyd blieb noch eine Viertelstunde auf seinem Posten, doch es hatte nicht den Anschein, als wollte die Polizei etwas unternehmen. Schließlich suchte er eine Telefonzelle auf und rief Bernie an.
    Sein Stiefvater blieb vorsichtig. »Wir wissen nicht genau, was vor sich geht«, sagte er. »Im Moment sieht es gut für uns aus, aber wir müssen in Erfahrung bringen, was die Faschisten als Nächstes planen. Kannst du zum Tower zurück?«
    Lloyd konnte sich unmöglich durch das massive Polizeiaufgebot kämpfen, aber vielleicht gab es einen anderen Weg. »Ich könnte es über die St. George Street versuchen«, sagte er, obwohl er Zweifel hatte.
    »Versuch es. Ich muss wissen, was sie als Nächstes tun.«
    Lloyd arbeitete sich durch das Gewirr der Gassen nach Süden vor. Er hoffte, dass er mit seiner Vermutung richtiglag, was die St. George Street betraf. Die Straße verlief zwar außerhalb des umkämpften Bereichs, aber die Menge konnte sich bis dorthin ausgebreitet haben.
    Doch zu Lloyds Erleichterung war alles frei, obwohl er sich noch immer in Hörweite der Gegendemonstration befand und das Geschrei und die Trillerpfeifen vernahm. Nur ein paar Frauen standen auf der Straße und schwatzten, und eine Horde kleiner Mädchen spielte mitten auf der Fahrbahn. Im Laufschritt setzte Lloyd seinen Weg in westlicher Richtung fort, wobei er hinter jeder Ecke damit rechnete, Scharen von Protestlern oder Polizisten zu sehen. Doch er sah nur Verletzte, die sich zurückzogen – zwei Männer mit verbundenem Kopf, eine Frau in einem zerrissenen Mantel, einen ordensgeschmückten Veteranen, der einen Arm in der Schlinge trug –, traf aber auf keine Menschenmenge. Er rannte den ganzen Weg bis zu der Stelle, an der die Straße am Tower endete. Ungehindert betrat er Tower Gardens.
    Die Faschisten waren noch immer dort.
    Das an sich war schon eine Leistung, denn mittlerweile war es halb vier durch: Die Marschierer warteten hier seit Stunden auf ihren Abmarsch, und ihre Hochstimmung war verflogen. Sie sangen und skandierten nicht mehr, standen nur schweigend und teilnahmslos in den Reihen, die längst nicht mehr so straff und gerade waren wie Stunden zuvor. Die Banner hingen schlaff herunter, die Blaskapellen waren verstummt. Die Faschisten sahen wie Besiegte aus.
    Doch wenige Minuten später schlug die Stimmung wieder um. Ein offener Wagen kam aus einer Seitenstraße und fuhr die Reihe der Faschisten entlang. Applaus und Jubel brandeten auf, und die Reihen strafften sich wieder. Die Offiziere salutierten, und die Faschisten nahmen Haltung an. Auf dem Rücksitz des offenen Wagens saß ihr Führer, Sir Oswald Mosley, ein gut aussehender, schnurrbärtiger Mann. Er trug die Parteiuniform samt Schirmmütze. Mit kerzengeradem Rücken salutierte er, während sein Wagen im Schritttempo an seinen Anhängern vorbeifuhr, als wäre er ein Monarch, der eine Truppenparade abnimmt.
    Mosleys Anwesenheit gab seinen Leuten neue Kraft, wie Lloyd mit Sorge beobachtete, denn es bedeutete wahrscheinlich, dass der Marsch doch noch wie geplant stattfinden würde. Warum sonst hätte

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