Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
entsetzt hätten.
Doch in ihrer Suppe schwamm ein Haar: die US Navy. Dieser Gedanke erfüllte Chuck mit Stolz. Die Japaner hatten gehofft, Pearl Harbor vollständig zu vernichten und so die Kontrolle über den Pazifik zu erlangen, aber was das betraf, hatten sie versagt. Noch befuhren amerikanische Flugzeugträger und schwere Kreuzer die Meere. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse ließen erkennen, wie sehr es die japanischen Befehlshaber erzürnte, dass die Amerikaner sich weigerten, sich einfach hinzulegen und zu sterben. Nach ihren Verlusten bei Pearl Harbor waren sie zahlenmäßig und waffentechnisch unterlegen, aber sie flohen nicht, und sie versteckten sich nicht. Stattdessen verfolgten sie eine Nadelstichtaktik gegen den japanischen Schiffsverkehr, mit der sie zwar geringen Schaden anrichteten, aber die eigene Moral stärkten und den Japanern das Gefühl gaben, doch noch nicht gesiegt zu haben. Am 25. April 1942 bombardierten amerikanische Maschinen, die von einem Flugzeugträger gestartet waren, das Stadtzentrum von Tokio und fügten dem Stolz des japanischen Militärs eine furchtbare Wunde zu. In Hawaii wurde der Einsatz ekstatisch gefeiert. An diesem Abend betranken sich Chuck und Eddie.
Doch die entscheidende Kraftprobe zeichnete sich erst ab. Jeder im Old Administration Building, mit dem Chuck redete, sprach davon, dass Japan im Frühsommer einen Großangriff beginnen würde, mit dem die amerikanischen Schiffe zur letzten Schlacht hervorgelockt werden sollten. Die Japaner hofften, dass die zweifellos überlegene Stärke ihrer Kriegsmarine ihnen den entscheidenden Vorteil verschaffte, um die amerikanische Pazifikflotte auszulöschen. Die USA konnten die bevorstehende Seeschlacht nur gewinnen, wenn sie besser vorbereitet waren, die bessere Aufklärung hatten, beweglicher waren und sich klüger verhielten.
Während dieser Monate arbeitete Station HYPO Tag und Nacht daran, JN -25b zu knacken, den neuen Code der Kaiserlich-Japanischen Kriegsmarine. Bis Mai konnte die Abteilung einige Fortschritte vorweisen.
Die US Navy unterhielt im gesamten pazifischen Raum, von Seattle bis Australien, Funkabhörstationen. Dort saßen jene Männer, die als »On The Roof Gang« bekannt waren, als die »Bande auf dem Dach«, die mit Funkempfängern und Kopfhörern den japanischen Funkverkehr belauschten. Sie suchten die Frequenzbänder ab und notierten schlichtweg alles, was sie aufschnappten.
Die Signale waren Morsezeichen, doch die Punkte und Striche von Marinesignalen wurden in fünfstellige Zifferngruppen umgesetzt, von denen jede für einen Buchstaben, ein Wort oder eine Wendung in einem Codebuch stand. Die scheinbar zufälligen Ziffern wurden über ein abgesichertes Kabel zu Fernschreibgeräten im Keller des Old Administration Building geschickt und ausgedruckt. Dann begann der schwierige Teil der Arbeit. Nun musste der Code geknackt werden.
Die Spezialisten begannen stets mit Kleinigkeiten. Das letzte Wort eines Signals lautete meist OWARI , »Ende«. Die Kryptoanalytiker suchten dann nach weiterem Auftauchen der gleichen Zifferngruppe im gleichen Signal und schrieben jedes Mal » ENDE ?« darüber. Und die Japaner halfen ihnen, indem sie einen ungewöhnlich schlampigen Fehler begingen.
Die neuen Codebücher für JN -25b trafen bei einigen weit abgelegenen Einheiten zu spät ein. Mehrere verhängnisvolle Wochen lang sendete das japanische Oberkommando daher Nachrichten in beiden Codes . Da die Amerikaner den ursprünglichen JN -25 weitgehend geknackt hatten, konnten sie die Nachricht im alten Code entschlüsseln, die dechiffrierte Nachricht mit der im neuen Code vergleichen und damit die Bedeutung der Fünf-Ziffern-Gruppen im JN -25b entschlüsseln. Eine Zeit lang machten sie sprunghafte Fortschritte.
Die ursprünglich acht Kryptoanalytiker wurden nach dem Überfall auf Pearl Harbor durch mehrere Musiker aus der Kapelle des versenkten Schlachtschiffes California verstärkt. Aus einem Grund, den niemand begriff, besaßen Musiker ein Talent fürs Dechiffrieren.
Jedes Signal wurde behalten und jede Entschlüsselung archiviert, denn erst der ständige Vergleich untereinander brachte die Arbeit voran. Manchmal bat ein Analytiker um sämtliche Signale eines bestimmten Tages, sämtliche Signale an ein bestimmtes Schiff oder sämtliche Signale, in denen beispielsweise Hawaii erwähnt wurde. Chuck und die anderen entwickelten immer kompliziertere Querverweissysteme, um möglichst schnell finden zu können, was die
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