Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
umgetauscht, und zwar in drei neue Deutsche Mark und neunzig Pfennige für jeweils sechzig alte Reichsmark. Für Berlin allerdings gelte das vorerst nicht, fügte er hinzu – was den in der Küche Versammelten ein kollektives Aufstöhnen entlockte.
Kurz darauf ging Carla zu Bett. Sie lag neben Werner; ein Teil von ihr lauschte wie immer auf die Geräusche im Nebenzimmer, falls Klein-Walter weinte. Carla fragte sich, was die Sowjets wohl tun würden. Die sowjetischen Besatzer waren in den letzten Monaten immer aggressiver geworden. Ein Journalist mit Namen Dieter Friede war vom NKWD aus der amerikanischen Zone entführt und festgehalten worden. Anfangs hatten die Sowjets geleugnet, davon zu wissen; dann hatten sie erklärt, sie hätten Friede als Spion verhaftet. Außerdem waren drei Studenten der Universität verwiesen worden, weil sie die Russen in einem Zeitungsartikel kritisiert hatten. Am schlimmsten war der Zwischenfall mit dem russischen Jagdflugzeug, das versucht hatte, eine Passagiermaschine der British European Airways abzudrängen, als sie auf dem Flughafen Gatow landen wollte. Die beiden Flugzeuge stießen mit den Tragflächen zusammen und stürzten ab. Dabei kamen vier Besatzungsmitglieder der BEA , zehn Passagiere und der sowjetische Pilot ums Leben. Wenn die Russen wütend wurden, mussten jedes Mal andere dafür leiden.
Am nächsten Morgen erklärten die Sowjets, es sei ein Verbrechen, die D-Mark nach Ostdeutschland einzuführen. Das schließe Berlin mit ein, hieß es in der Erklärung, denn Berlin sei Teil der sowjetischen Zone. Die Amerikaner legten sofort Protest gegen diese Formulierung ein und erklärten ihrerseits, Berlin sei keinesfalls sowjetisch, sondern eine internationale Stadt. Die Wogen schlugen hoch, und Carla wurde immer nervöser.
Am Montag wurde in Westdeutschland das neue Geld eingeführt.
Am Dienstag kam ein Kurier der Roten Armee zu Carlas Haus und rief sie in den Magistrat.
Sie war früher schon auf diese Weise ins Stadtparlament gerufen worden, aber diesmal hatte sie Angst, als sie das Haus verließ. Nichts könnte die Sowjets davon abhalten, sie einfach zu verhaften. Die Kommunisten beanspruchten die gleichen Willkürrechte, die auch die Nazis sich genommen hatten. Tatsächlich betrieben sie sogar die alten Konzentrationslager weiter. Nur die Insassen waren andere … meistens.
Das berühmte Rote Rathaus war durch Bombenangriffe stark beschädigt worden, und so tagte das Stadtparlament im Neuen Stadthaus am Molkenmarkt. Beide Gebäude lagen im Bezirk Mitte, wo auch Carla wohnte und der zur sowjetischen Zone gehörte.
Als sie dort eintraf, sah sie, dass auch Louise Schroeder, die amtierende Oberbürgermeisterin, und die anderen Stadtverordneten zu einem Treffen mit dem sowjetischen Verbindungsoffizier gerufen worden waren, Major Otschkin. Otschkin informierte sie darüber, dass die ostdeutsche Währung reformiert werden müsse; deshalb sei in Zukunft die neu einzuführende Ostmark das einzige gültige Zahlungsmittel.
Louise Schroeder erkannte das Problem sofort. »Soll das für alle Sektoren Berlins gelten?«
»Ja.«
So leicht ließ die Oberbürgermeisterin sich nicht einschüchtern. »Laut Besatzungsstatut kann die sowjetische Verwaltung einen solchen Beschluss nicht für die anderen Sektoren treffen«, sagte sie mit fester Stimme. »Die anderen Siegermächte müssen in die Entscheidung mit einbezogen werden.«
»Sie werden keine Einwände haben.« Otschkin reichte Louise Schroeder ein Blatt Papier. »Das ist Marschall Sokolowskis Erlass. Sie werden ihn morgen dem Magistrat vorlegen.«
Später an diesem Abend, als Carla mit Werner zu Bett ging, sagte sie: »Die sowjetische Taktik ist leicht zu durchschauen. Wenn der Magistrat den Erlass absegnet, werden die demokratischen Westalliierten Mühe haben, dagegen anzugehen.«
»Aber der Magistrat wird den Erlass nicht absegnen, nicht wahr?«, entgegnete Werner. »Die Kommunisten sind in der Minderheit, und eine Ostmark will niemand.«
»Stimmt. Deshalb frage ich mich, ob Marschall Sokolowski noch ein Ass im Ärmel hat.«
Am nächsten Morgen verkündeten die Zeitungen, dass es von nun an zwei konkurrierende Währungen in Berlin geben würde, die Ostmark und die Deutsche Mark. Wie sich herausstellte, hatten die Amerikaner insgeheim bereits 250 Millionen Mark eingeflogen und auf Ausgabestellen in ganz Berlin verteilt.
Im Laufe des Tages hörte Carla immer mehr Gerüchte aus Westdeutschland. Dort hatte das neue Geld eine
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