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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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umfassten das Lenkrad - ein einzigartiges Vergnügen, besaß doch keiner unserer Väter ein Auto. Noch heute erinnere ich mich an den wunderbaren Geruch der Ledersitze und des Benzins. Ferner mussten Radios und Telefone abgeliefert werden; Fahrräder wurden nicht eingefordert, dafür aber in der Regel von den russischen Soldaten requiriert.
    Die Seefahrtschule wurde okkupiert, die Tannen an ihrer Frontseite eine nach der anderen gefällt und zum Bau von Holzbaracken verwendet, die als Pferdeställe dienten. Nautische Geräte, Kreiselkompasse, mit denen die angehenden Steuerleute und Kapitäne ihr Handwerk erlernt hatten, fanden sich, achtlos weggeworfen, in unserem Garten wieder. Mehrere Häuser wurden für die Offiziere beschlagnahmt. Unsere Nachbarin Frau Fuchs, deren Wohnung nur durch den Eingangsflur von unserer getrennt war, musste zwei Zimmer und die Veranda an einen sowjetischen Major abtreten. Meine Mutter war darüber zunächst entsetzt. Doch der Major liebte uns Kinder von Herzen, nahm uns auf den Arm, das war zwar unangenehm, denn er roch nach Wodka, aber er lachte und schenkte uns Brot.

    Die drei Gebäude, die unmittelbar an der Ostsee lagen - darunter das Haus meiner Großmutter Antonie -, wurden für militärische Zwecke genutzt. Den russischen Soldaten schien Großmutters Haus geeignet, um dort einen Ausguck zur See zu errichten. Sie stießen einfach das Rohrdach durch, warfen Kleidungsstücke und Möbel aus dem Fenster, einige Bücher wurden zerrissen, andere in russischer Schrift mit Losungen wie »Tod den deutschen Okkupanten!« versehen. Großmutter Antonie kam jedoch ungeschoren davon und durfte sich mit einem Teil ihrer Habe bei Bekannten im Dorf einmieten.
    Mitte Juni 1945 teilte meine Mutter einem Bekannten in einem Brief mit, Flüchtlinge, Evakuierte und Ausländer müssten Wustrow innerhalb der nächsten Tage verlassen; es liefen sogar Gerüchte um, die ganze Küste werde aus militärischen Gründen geräumt. Dann reduzierte sich die Maßnahme offensichtlich auf die Sperrung des Strandes. Nicht einmal Kinder hatten Zugang zur Ostsee.
    Mit fünf Jahren war ich zu klein, um auch nur annähernd zu erfassen, was um mich herum vorging. Mir erschien das Kriegsende vor allem interessant und abenteuerlich. Die Soldaten brachten Abwechslung in unsere kleine Dorfwelt, sie sahen anders aus, sprachen anders, benahmen sich anders - etwas Neues hatte begonnen.
    Auch Jungen, die ein wenig älter waren als ich, nahmen das Geschehen zunächst eher von der sportlich-abenteuerlichen Seite. Sie fanden Koppel, Munitionstaschen und Munition, die haufenweise auf dem Hohen Ufer zwischen Wustrow und Ahrenshoop lagen, wo Küstengeschütze stationiert gewesen waren. Heute sind nicht nur die Militäranlagen aus der NS-Zeit, sondern auch aus der DDR-Zeit im Wasser verschwunden, denn die Ostseewellen tragen das Land am Hohen Ufer ab. Damals buddelten die Jungen die Kartuschen aus der Erde, klopften sie auf, schütteten das Schwarzpulver aus und veranstalteten Feuerwerke. Ein paar Jahre später war auch ich dabei. Wir häuften das Munitionspulver fast einen halben Meter hoch und schichteten Seetang, Steine und
Sand darüber, nicht ohne zuvor eine kleine, ebenfalls mit Pulver aufgeschüttete Rinne dorthin geführt zu haben. Es war ein diebisches Vergnügen. Der Haufen flog in die Luft, und die Steine wirbelten durch die Gegend.
    Wenn ich als Erwachsener zurückblicke, staune ich, welch harmlose Ereignisse im Gedächtnis des kleinen Jungen haften blieben. Erst viel später erfuhr ich, dass sich mehrere Wustrower unmittelbar vor dem Einmarsch der Sowjetarmee umgebracht hatten. Der Bildhauer Johann Jaenichen schnitt sich die Pulsadern auf; er war kein Nazi gewesen, die Gründe für seinen Freitod sind nicht bekannt. Unbekannt blieben auch die Motive des Selbstmords der Flüchtlingsfamilie Hennings; erst tötete das Ehepaar seine achtjährige Tochter, dann sich selbst. Der Dorfpolizist aus Wustrow erhängte sich mit seiner Frau auf dem Dachboden seines Hauses. In Ahrenshoop erschoss sich ein Ehepaar, das als fanatisches Nazi-Pärchen bekannt war. Offensichtlich fürchteten sie die Strafe der Sieger.
    Die Verhaftungen von Männern zwischen fünfzehn und fünfzig blieben mir ebenfalls verborgen. Die wenigen, die sich im Dorf aufhielten, standen im Verdacht, Mitglied der NSDAP oder der SA gewesen zu sein; fast alle kamen ins Lager Fünfeichen bei Neubrandenburg, oder sie wurden in die Sowjetunion deportiert.
    Auch von den

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