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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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Westrundfunk sagen, Heimat sei für ihn der »Ort früher Leiden«. Ich weiß noch, wie ich mich dagegen auflehnte. Für mich war Heimat frühes Glück. Erst zwanzig Jahre später sollte ich begreifen, dass mein Glück im Sommer 1952 eng mit dem Unglück ein Jahr zuvor verbunden war. Tante Marianne hatte mich aufgenommen, nachdem mein Vater abgeholt worden war und spurlos verschwand. Wegen des dunklen Sommers ein Jahr zuvor hat der Sommer bei Tante Marianne alle früheren Bilder überstrahlt.
    Als meine Familie nach Rostock zog, blieb Wustrow für mich ein Zufluchtsort, ein tröstlicher Bezugspunkt ein ganzes Leben lang: Als ich jung war und jetzt, da ich in die Jahre gekommen bin; als ich noch allein lebte und als ich verheiratet war; als ich ein Kind war und als ich Kinder hatte. Noch heute umfängt mich das Gefühl einer ganz besonderen Wärme und innere Freude, wenn ich, von Rostock kommend, auf das Fischland abbiege, parallel zur See nach Nordosten fahre, wenn dann in der Ferne der Kirchturm von Wustrow auftaucht und ich rechter Hand hinter Wiesen
und Schilf den Bodden weiß. Auch wenn ich nur zu Besuch komme, fühle ich: Hier bin ich zu Hause.
    Dabei waren wir doch Zugezogene, ansässig erst seit 1938, als meine Eltern Joachim und Olga Gauck nach ihrer Heirat eine Haushälfte gegenüber der Seefahrtschule in der heutigen Parkstraße mieteten, die damals Adolf-Hitler-Straße hieß. Wirklich fremd waren sie allerdings nicht, denn beide waren Mecklenburger, mein Vater zumindest ein halber, denn sein Vater stammte aus Sachsen. Mein Vater hat in Wustrow die Seefahrtschule besucht und sie zunächst mit dem Steuermanns-, 1940 mit dem Kapitänspatent A 6 beendet: Kapitän auf großer Fahrt. Als Kapitän ist er im Krieg allerdings nicht mehr gefahren; herumgekommen auf den Weltmeeren war er allerdings schon seit der Zeit, da er, gleich nach dem Abitur, als Schiffsjunge auf der Viermastbark »Gustav« angeheuert hatte. Im Familienalbum finden sich Bilder aus Australien, Afrika, Skandinavien und von Sumatra. Zuletzt arbeitete er in der Reederei Ferdinand Laeisz in Hamburg und holte auf Fruchtschiffen Bananen und andere Südfrüchte aus Afrika.
    Meine Mutter scheint ihn bei einem seiner Landgänge regelrecht gekapert zu haben. In der Familie wurde jedenfalls kolportiert, dass die junge Olga Warremann den immerhin schon 31-Jährigen nach der Rückkehr aus Kamerun bei der Hamburger Reederei abgeholt und erwartungsvoll gefragt habe:
    »Hast du meinen Brief bekommen?«
    Mein Vater wusste von keinem Brief.
    »Dann weißt du nicht, dass wir morgen in Blankenese heiraten?«
    Offensichtlich musste mein Vater nicht lange überlegen.
    So kam es, dass, als mein Vater zum Militär eingezogen wurde, meine Mutter nach Wustrow zog. Dort lebte ihre Schwiegermutter Antonie Gauck, die sich hier ein Haus an der Ostsee hatte bauen lassen. Als Tochter eines Ackerbürgers mit kleinem Viehhandel in der mecklenburgischen Kleinstadt Penzlin verfügte sie zwar über ein Erbe, aber über keine laufenden Einkünfte. So wollte sie Sommergäste beherbergen, um sich den Lebensunter-halt
zu sichern. Die Leute im Dorf sagten: »De Fru iss woll nich klauk, will sick dor’n Huus hen bugen«, denn das Haus lag unmittelbar an der See, weit vor allen anderen Häusern des Ortes. Doch 1936 stand das Gebäude, groß genug, um nicht nur die eigene Wohnung, sondern auch Raum für einige Feriengäste zu ieten.

    Sommer 1952 mit Burckard und Tante Marianne. Sie hat mir ein Zuhause im ersten Sommer gegeben, den meine Geschwister und ich ohne den Vater verbringen mussten.
    Großmutter Antonie hatte sich scheiden lassen, als mein Vater ein kleiner Junge war. Niemand wusste, warum. Niemand, auch nicht der eigene Sohn, hatte je ein Bild ihres Mannes, seines Vaters, gesehen. Bekannt war allein, dass er aus Dresden stammte und Apotheker gewesen war. Weder Fragen noch gar Gerüchte konnten die stolze Mecklenburgerin zum Reden bringen. Sie verweigerte jede Auskunft, verbannte jede Erinnerung und entledigte sich schleunigst seines Namens. Wie sehr sie ihn abgelehnt haben muss, konnte mein Vater ahnen, als sie sich einmal bei einem Spaziergang zu dem inzwischen erwachsenen Sohn umdrehte und es ihr erschrocken entfuhr: »Mein Gott, du siehst ja aus wie dein Vater!« Antonie hat niemals wieder eine Beziehung zu einem Mann geknüpft, vielmehr meiner Schwester Marianne
schon im Schulmädchenalter eingeimpft: »Lass dir nie von Männern imponieren!«
    Auf letztlich ungeklärte

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