Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Großbetrieb über. Großmutter Antonie erhielt eine beleidigend niedrige Miete, das war ihre Rente. Als die ersten Pachtverträge ausliefen, musste sie weiter verpachten, zuletzt an einen großen Staatsbetrieb aus Magdeburg. Oma Antonie lebte in wechselnden Wohnungen, zuletzt im Pfarrhaus Wustrow. Sie starb 1964 bei dem Pastorenehepaar Hanns und Renate Wunderlich in dem Ort, den sie zu ihrer Wahlheimat gemacht hatte - aber nicht in dem Haus, das sie dort errichtet hatte.
Wenn wir nach ihrem Tod den Ort besuchten, haben wir das Haus gemieden, der Anblick war zu trist.
Das Haus am Deich war für uns zum Zeichen von Willkür geworden. Es war unseres, aber gleichzeitig nicht unseres. Es verkam langsam, war mit seinem zerzausten Strohdach und einem angebauten Schuppen hässlich anzusehen - typisch für die DDR. Schließlich gingen wir vorbei wie an etwas Fremdem.
Das Haus war verloren - punktum. Jedenfalls war es kein großes Thema mehr. Seine weitere Geschichte ist eine von ungezählten DDR-Unrechtsgeschichten. Als mein Vater Mitte der achtziger Jahre nach Ablauf des letzten Pachtvertrages dem staatlichen Pächter mitteilte, er wolle das Haus künftig selber nutzen, er habe auch Kinder, Enkel und Urenkel, stieß er auf Ablehnung. Das Starkstromkombinat Magdeburg wollte Haus und Grundstück nicht räumen, zumal es dort inzwischen ohne Erlaubnis des Eigentümers eine große Klärgrube für seine benachbarten Ferienbungalows errichtet hatte.
Unser Vater klagte beim Kreisgericht auf Vertragserfüllung - und verlor. Er wandte sich an die nächste Instanz, das Bezirksgericht - und verlor. Die Nutzung seiner Immobilie durch einen sozialistischen Großbetrieb, so wurde ihm bedeutet, sei wichtiger als die private Nutzung. In zweiter Instanz wurde zudem der Paragraph des Pachtvertrages, der die Pachtzeit begrenzt hatte, aufgehoben. Nun war die Verpachtung unbefristet. Auf den Vorschlag seines Anwalts, er solle das offensichtlich rechtswidrige Urteil in Berlin durch das Oberste Gericht kassieren lassen, ging mein Vater nicht mehr ein. Erstens, sagte er, werde er in diesem Staat sowieso kein Recht erhalten, zweitens fehle ihm das Geld für das fragwürdige Unterfangen. Stattdessen eröffnete er uns Kindern: »Ich verschenk’ den Katen.«
In der DDR war das eine übliche Praxis. Wer beispielsweise ein Mietshaus in der Innenstadt besaß und mit den gesetzlich vorgeschriebenen Niedrigmieten nicht einmal die notwendigsten Reparaturen finanzieren konnte, musste sich zwangsläufig ruinieren. Viele alte Menschen haben daher die Städte gebe-ten,
sie zu »retten« und sich die unrentablen Häuser schenken zu lassen.
Großmutter Antonies Haus - anders als heute noch einsam unmittelbar hinter dem Deich stehend.Wohnen konnte sie seit 1945 nicht mehr darin. Erst beschlagnahmte es die Sowjetarmee, später wurde es, zuletzt erzwungenermaßen, an große volkseigene Betriebe verpachtet. Nach 1989 kam es zurück in die Obhut der Familie und ist seither Feriendomizil für Enkel, Urenkel, Ururenkel und Feriengäste.
Mein Vater wäre ebenso verfahren, hätten seine erwachsenen Kinder ihn nicht daran gehindert. Wir machten ihm klar, dass man für ein großes Grundstück an der See immer Käufer finden könne. Um das übliche Vorkaufsrecht der Kommunen nicht fürchten zu müssen, sollte er unter staatlich anerkannten Persönlichkeiten nach einem Käufer suchen. Ein Verkauf an Partei-oder Staatsfunktionäre, an Militär-, Volkspolizei-oder Stasi-Personal schied für meinen Vater selbstverständlich aus. Am liebsten hätte er an unseren Bischof verkauft. Aber die Mecklenburger Bischöfe waren kritisch gegenüber dem Staat eingestellt, ihnen wäre kein Hauskauf erlaubt worden. Allerdings gab es Kirchenväter, die auf besserem Fuß mit der Staatsmacht standen. So wurde ein Anwalt
beauftragt - er hieß Wolfgang Schnur -, in Berlin, Greifswald oder Thüringen nach einem Käufer zu suchen.
Zunächst zeigte der Anwalt selbst Interesse. Er hätte das Grundstück gern zum Einheitswert von 1934 erworben - zu einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes also -, mehr Geld habe er nicht. Wir wollten zwar nicht reich werden, uns aber auch nicht für dumm verkaufen lassen und lehnten ab.
Anfang April 1987 schien die Suche doch noch zum Erfolg zu führen: Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, alias IMB Torsten, ein langjähriger Mitarbeiter der Stasi, berichtete seinem Führungsoffizier Major Fiedler, dass ihm von Oberlandeskirchenrat Martin Kirchner, alias IM Küster,
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