Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Walde komm ich her …« Der Weihnachtsmann war so gerührt, dass er versprach, nach der Feier noch bei mir zu Hause vorbeizukommen und mir ein spezielles Geschenk zu übergeben. Er hielt sein Versprechen: Ich bekam einen weiteren Panzer aus Holz.
Wustrow blieb vom Krieg verschont. Zwei Bomben fielen auf die Wiesen vor dem Ort, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Rostock hingegen wurde bereits Ende April 1942 zu sechzig Prozent durch Bombenangriffe der Royal Air Force zerstört. In den vier Nächten zwischen dem 23. und dem 27. April legten jeweils über hundert Flugzeuge die historische Altstadt in Schutt und Asche, Brände fraßen Sankt Nikolai und die Petrikirche auf. Die Erwachsenen standen in Wustrow auf dem Deich und blickten bang über das Wasser nach Westen, wo der Rauch aufstieg; viele hatten Verwandte in Rostock, meine Mutter sorgte sich um ihre Eltern. Bei entsprechendem Westwind trieb es die Asche bis in die Gärten von Wustrow. Der Krieg hatte Mecklenburg gefunden.
Einmal, so meine einzige wirkliche Kriegserinnerung, waren wir bei den Großeltern Warremann in Rostock zu Besuch. Wir saßen miteinander im Keller des Hauses, von fern hörte ich Sirenen, die Bedrohung konnte ich nicht ermessen, aber ich spürte die Angst der Erwachsenen, die sich auf mich übertrug.
Insgesamt kamen die Großeltern im Krieg glimpflich davon. Bomben, die im Rostocker Vorort Brinckmansdorf nieder gingen,
zerstörten zwei Häuser in der Nachbarschaft. Bei den Großeltern wurde nur die angebaute Garage neben dem Haus weggerissen und das Dach beschädigt. Oma Warremann und die Schwester meiner Mutter mit ihren beiden Kindern überstanden die Angriffe unversehrt im Keller. Die Möbel waren etwas lädiert, aber noch zu gebrauchen. Als in den letzten Apriltagen 1945 der Kanonendonner von der Front zu hören war, packte Großvater Warremann einen Leiterwagen mit Federbetten und etwas Hausrat, setzte meinen Cousin Gerhard und meine Cousine Dörthe darauf, dann schoben die Erwachsenen den Wagen Richtung Westen bis Bad Doberan, wo sie zum Dorf Retschow abbogen. Dort fanden sie bis Kriegsende im Pfarrhaus Unterschlupf.
In Rostock und Ribnitz zog die Sowjetarmee am 1. Mai 1945 ein. Über die Dorfstraße von Wustrow fuhren am 2. Mai einige sowjetische Panzer zum Hohen Ufer direkt an der Ostseeküste. Nachdem sie dort nur auf eine verlassene Stellung und zwei gesprengte Geschütze gestoßen waren, zogen sie sich wieder zurück.
Am Morgen des 3. Mai wurde schließlich auch Wustrow besetzt. Wir Kinder waren hinter den Erwachsenen her zu einer Anhöhe gelaufen. Von dort konnte man die einzige Straße überblicken, die sich auf das Fischland schlängelt. Sie kamen vom Westen, aus der Kreisstadt Ribnitz, Soldaten in abgerissenen Uniformen mit Panjewagen und strubbeligen, abgemagerten Pferden. Ohne einen einzigen Schuss abzugeben, zogen sie in das Dorf ein, wo sich fast alle Frauen versteckt hielten, viele hatten die Gesichter schwarz angemalt.
Kaum hatte sich die Schreckensnachricht vom Anmarsch der Russen verbreitet, eilte Oma Antonie auf den Hof. Sie hatte es auf meine Fahne abgesehen, die Fahne des Deutschen Reiches seit 1935, rot mit einem schwarzen Hakenkreuz in einem weißen Kreis. Oma Antonie versuchte den mit deutscher Gründlichkeit am fünfzig Zentimeter langen Fahnenstock befestigten Stoffteil abzureißen, brach, als ihr dies nicht gelang, den Stock einfach über ihrem Knie entzwei und steckte Stock und Fahne in das Feuer des Waschkessels, in dem gerade die große Wäsche kochte. Ich war
entsetzt und verstand die Welt nicht mehr. Die müsse weg, erklärte Oma Antonie, weg, bevor die Russen kämen.
Meine Mutter verhielt sich erstaunlich ruhig. Sie hatte erst wenige Tage vor dem Einmarsch der Sowjettruppen ihr drittes Kind geboren, meinen Bruder Eckart. Als die Russen von der Landstraße abbogen, eine abenteuerliche Gestalt mit asiatischen Gesichtszügen und zwei weitere Soldaten in unser Haus traten, hörten wir als erstes, was schon Tausende vor uns gehört hatten und Tausende nach uns noch hören würden: »Uhri, Uhri.« Mutter reagierte geistesgegenwärtig und ließ blitzschnell ihre Armbanduhr vom Handgelenk in die Sesselritze rutschen, dann streckte sie die Arme hoch: Sie hatte keine Uhr.
Bald wurde requiriert und geklaut. Wer noch ein Auto hatte, der Arzt und einige wenige andere, musste es abliefern. Die Fahrzeuge wurden vor der Schule abgestellt. Wir Jungen kletterten heimlich in die unverschlossenen Gefährte,
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