Winter in Maine
Angst vermischtes Gefühl dabei hätte. Und ich solle nie vergessen, aus der Schulter zu schießen und beim Abdrücken zu atmen.
Während ich mit ihm und dem Gewehr, das ich kaum ge rade halten konnte, im Wald stand, hatte ich hauptsächlich Angst. Als ich durch das Visier blickte, sah ich statt der leuch tenden Wälder von Maine sechshundert Meter entfernt, auf der anderen Seite eines schlammigen Schlachtfelds, Schemen in grauen Uniformen, die Gespenster von Männern, die längst tot waren und dennoch im Visier lauerten. In diesem Moment war das Gewehr am schwersten. Ich glaubte, Pulver zu riechen, doch mein Vater sagte, das Pulver sei längst verraucht, Lauf und Verschluss gut gereinigt.
Er lachte über mein Zögern und sagte, in einem Gewehr befänden sich bloß Kugeln. Es sei ein Mann nötig, um das Ge wehr zu halten, ein Auge, um es aufs Ziel zu richten, und ein Finger, um abzudrücken. Ein Gewehr schieße auf eine Blechbüchse oder einen Präsidenten und sei weder besser noch schlechter als die Leute, die es benutzten.
15
Ich saß im Wald und wartete, ohne dem Hirsch auf dem Feld Beachtung zu schenken. Es verstrich nicht allzu viel Zeit. Der Mann, der schließlich auftauchte, schien aus den Bäumen her vorzutreten, so leise bewegte er sich. Ich sah nichts, aber ich hörte ihn. Ich hob nur den Blick und bewegte keinen anderen Muskel im Körper, und dennoch verstrichen die Sekunden, ohne dass er zu sehen war, und ich dachte schon, er komme nur in meiner Vorstellung auf mich zu, nicht im Wald. Letztlich verrieten ihn seine Stiefel: Er trug neue oder vor kurzem geputzte Stiefel, ich hörte das leichte Quietschen, und dann sah ich ihn, in Drillichsachen, gut getarnt vor dem dunkelbraunen und grünen Unterholz, das Gewehr in beiden Händen, aufwärts gerichtet und bereit für einen raschen Schuss, den Zeigefinger am Abzugsgehäuse wie ein kriegserfahrener Soldat. Dieser Mann pirschte sich gern an seine Beute an, folgte ihr, beschattete sie und schlug dann zu wie ein Blitz. Seine Waffe war also vermutlich geladen, sie sah aus wie eine Schrotflinte mit Sabotmunition, auf eine Entfernung bis zu hundert Metern mit Sicherheit tödlich. Ich schätzte, dass er neunzig Meter von mir entfernt war, er wirkte begeistert von dem großen Tier, das jetzt auf dem offenen Feld äste, starrte es mit geducktem Kopf an und setzte den Fuß lautlos und geschickt auf, für diesen großen Mann mit den breiten Schultern, dessen Bauarbeiternacken anscheinend das Tragen schwerer Lasten gewohnt war, eine Meisterleistung. Sein Schädel war von roten Stoppeln bedeckt. Dass er keine orange Weste trug, war leicht sinnig von ihm.
Er hob im Dickicht die Flinte und zielte, und im selben Au genblick sprang ich hinter den beiden Bäumen hervor, riss das Gewehr an die Schulter, atmete kurz aus und drückte ab. Er stürzte sofort zu Boden, und es sah aus, als würde der Wald in seinen Kleidern fallen. Der Hirsch war bereits in der Mitte des Feldes, legte mit jedem Satz mehrere Meter zurück, den Kopf dem Horizont entgegengestreckt, als hätte das Gewehr auch auf ihn geschossen.
Der Hirsch konnte natürlich nicht wissen, wie viel Glück er gehabt hatte.
Ich näherte mich dem Mann, der vornüber aufs Gesicht gefallen war und schwer atmend ins Laub schnaubte. Die Ku gel hatte ihn zwischen den Schulterblättern getroffen, dreißig Zentimeter unterhalb des Nackens, und er streckte vergeblich die Hand danach aus, wie es neulich auch der andere Mann getan hatte. Er konnte weder das Blei entfernen noch die Zerstörungen rückgängig machen, die es in seinem Körper angerichtet hatte.
Was geschah dann? Ich spürte den Luftzug nicht. Ich glaubte nur, ihn zu spüren, und das ist etwas ganz anderes.
Es war ein Messer an meinem Hals, aber als ich mich um drehte, das Gewehr nach links schwenkte und hinter mir in einem Baumstamm den dumpfen Aufprall hörte, war es doch kein Messer. Na gut. Der zweite Mann eines ungewöhnlichen Jägerpaares, wo auch immer er sich befand. Er hatte eine Armbrust und ging irgendwo auf der anderen Seite des Waldes parallel zu seinem Freund: Er hatte den Schuss gehört und gesehen, begriffen, was los war, und auf mich angelegt. Sein Schuss hatte mich nur gestreift. Doch dieser Mann würde kein zweites Mal denselben Fehler begehen und legte bestimmt schon einen weiteren Bolzen ein, der so stabil war, dass er durch mich hindurchging, wenn er ins Schwarze traf. Ich hielt das Gewehr an die Schulter und ergriff den Schlosshebel, schob
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