Winter in Maine
Lösungsmittel und prüfte die Abzugsvorrichtung. Aus einem Wandschrank holte ich eine Tüte Fünf-Schuss-Magazine mit 303er Patronen, schob eins in das Gewehr, schloss die Tür hin ter mir und ging noch einmal zu den Blumen hinüber, um zu sehen, ob welche zu retten waren, doch alle ließen bereits die Köpfe hängen. Ich dankte ihnen für ihren Duft und die Freu de, die sie mir all die Monate bereitet hatten. Ich blickte nach oben: Ein paar Schneeflocken schwebten aus dem größtenteils blauen Himmel herab, und auf der Lichtung war die Luft vom Geruch der sonnenbeschienenen Baumrinde erfüllt. Ich stellte mich kurz vor Hobbes' Grab, wusste aber nicht, was ich sagen oder denken sollte. Ich hätte alle Bücher in der Hütte, jeden einzelnen Penny, den ich besaß, hergegeben, damit Hobbes sich wieder aus dem Loch erhob. Ich hätte die ganze Sache so gut wie möglich vergessen. Doch er erhob sich nicht, deshalb waren wir jetzt an diesem Punkt angelangt.
Mit einem Stück Brot in der Tasche und heißem Tee im Flachmann brach ich auf in den Wald, an einem Riemen über meiner Schulter das Lee-Enfield-Gewehr Modell 14 aus dem Ersten Weltkrieg, das mein Großvater meinem Vater vererbt hatte.
10
Ich wanderte ung efä hr zwei Kilometer weit in den Wald, mal im Hellen, mal im Schatten, als wäre ich in mehrere Teile zer splittert, von der gebrochenen Sonne mit wenig Licht und noch weniger Wä rme bedacht, ich ging langsam, da ich es nicht eilig hatte, machte unterwegs sogar Pause, um einen Schluck Tee zu trinken, und fragte mich, wie in Maine überhaupt irgendwas warm sein konnte und wie es jemandem im Spätherbst, wenn die trockenen Blätter unter den Stiefeln raschelten, gelang, sich an irgendein Lebewesen anzuschleichen. Im Sommer hatten diese Bäume reichlich Schutz vor der Hitze geboten; jetzt standen die meisten kahl im Nordwind und hielten die Kälte nicht ab.
Ich lehnte mich zwischen zwei Baumstämme, die über mir eine Art Gabel bildeten, und stützte die Enfield gegen mein Knie, fünf Kilogramm Holz, Stahl und Harz, die Mündung in den Himmel gerichtet, die einzige Richtung, in die sie gefahr los zielen kann.
Ich überlegte, wie spät es wohl war. Noch früh an einem schönen Morgen. Es konnte nicht mehr lange dauern.
Ich glaube, ich musste fast zwei Stunden warten, bis ein großer Pick-up mit einem enormen Geweih am Kü hlergrill auftauchte, der ungefä hr fünfzi g Meter entfernt am Waldrand entl angtuckerte und dann anhielt. Der Mann, der ausstieg, schien Anfang dreißig zu sein, ein Riesenkerl in Tarnklei dung, der Kopf oben kahl geschoren und an den Seiten die Haare lang. Zumindest so viel konnte ich erkennen. Er ließ die Tür offen, zog sich andere Stiefel an und nahm ein Gewehr vom Rücksitz, streifte das Futteral ab, richtete die Waffe in den Himmel, holte eine Flasche Bier aus dem Wagen und schloss die Tür. Dann schulterte er das Gewehr, ging vierzig Schritte bis zu einem Baum, an dessen Stamm eine Leiter genagelt war, kletterte die fünf Meter zum Hochsitz hinauf, und dort lehnte er sich zurück und trank einen Schluck aus der Flasche, das Gewehr - dem Anschein nach eine Winchester, zweifel los eine gute Waffe - schräg auf dem Schoß. Jetzt, wo er sich in einer festen Entfernung von zirka achtzig Metern befand, konnte ich ihn eingehender betrachten. Er war kräftig gebaut und hätte mich bei einer Prügelei wohl mühelos besiegt. Seine Kleidung sah teuer und gepflegt aus. Er war ein vorsichtiger und geduldiger Mensch, der sich, falls Geduld und Vorsicht einmal nicht mehr in Gebrauch sein sollten, auch in einer primitiveren Form der Auseinandersetzung behaupten konnte. Aufgrund dieser Einschätzung beschloss ich, Abstand zu wahren.
Vermutlich hatte er vor, den ganzen Vormittag hier zu ver bringen und auf die Stille zu warten, in der die Hirsche sich zeigen, ein Rehbock, der am Feldrand entlang streift, oder noch größeres Wild oben aus den Bergen. Ich legte das Gewehr an die Schulter, schoss aus meinen achtzig Metern Entfernung, und die Kugel traf ihn in die Halsfalten. Er griff danach, als wäre es ein Insekt, drehte sich mit weit aufgerissenen Augen halb um und fragte sich, was passiert war. Es war kein tödlicher Schuss, noch nicht, es spritzte kein Blut. Ich lud durch, als er plötzlich herunterstürzte und auch das Gewehr fiel und flach im Laub landete. Das war gut, dann war seine Waffe gesichert. Es klang, als würde er durch das Loch in seinem Hals stöhnen. Ich trat zwischen den Bäumen
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