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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Mutter, Alfred, war 1936 gestorben. Wie ich viel später erfuhr, lebte Großmutter Růžena in Poděbrady, einer Stadt, die gut 60 Kilometer von Prag entfernt liegt. Falls sie versuchte auszureisen, so gibt es zumindest keinen Hinweis dafür. In der Tschechoslowakei hatte sie ihr ganzes Leben verbracht, und außerdem musste sie ihre Tochter, meine Namensvetterin Marie, pflegen, die an einer Nierenkrankheit litt.
    Natürlich konnte damals niemand ahnen, welche Katastrophe sich später abspielen sollte. Der Krieg in Europa war noch in einiger Ferne. Als er Monate später kam, ging man davon aus, dass er rasch vorbei sein würde. In den damaligen NS-Konzentrationslagern wie Dachau waren zumindest in den frühen Jahren Dissidenten unabhängig von der »Rasse« eingesperrt. Tschechischen Juden, die sich nicht politisch engagierten und ausreisen wollten, legten die deutschen Behörden keine Steine in den Weg. Mehr als 19 000 Juden (oder etwa 16 Prozent) verließen 1939 das Land. In jenem Sommer wurde in Prag eine Dienststelle unter Leitung des 33-jährigen Adolf Eichmann eingerichtet, um die Juden zur Auswanderung zu bewegen. Die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, Regierungen zu finden, die bereit waren, noch mehr Antragsteller aufzunehmen. Jedes Land hatte in irgendeiner Form eine Quote festgelegt. Die Briten, die damals ein Mandat des Völkerbunds für den Nahen Osten hatten, hatten eine jährliche Obergrenze eingeführt; nur 10 000 europäischen Juden pro Jahr sollte es gestattet sein, sich in Palästina niederzulassen. Für viele alte Juden war die Aussicht, ihr Zuhause zu verlassen,
beängstigender als das Bleiben und sämtliche vorstellbaren Gefahren, die damit einhergingen. So widerwärtig die Nazis auch waren, man konnte sich einfach nicht vorstellen, welchen Nutzen sie von einer Verfolgung der Alten haben mochten. »Was können sie mir schon antun?«, fragte eine Mutter ihren erwachsenen Sohn. »Ich muss vielleicht Fußböden schrubben, und dann ist der Krieg vorbei.« 107 Manche wollten vielleicht auch keinen Platz auf den Listen für Ausreisevisa belegen, den die eigenen Kinder und Enkel in ihren Augen besser brauchen konnten.
    In der zweiten Märzwoche reiste mein Vater kurz nach Paris und London, um sich zu erkundigen, ob es möglich war, für unsere Familie Visa zu bekommen. Er hatte das Glück, die Akkreditierung als Journalist für zwei jugoslawische Zeitungen zu bekommen. Er kehrte an dem Tag nach Hause zurück, als Präsident Hácha zu seiner Konferenz nach Berlin fuhr.
     
    I n den frühen Morgenstunden des 15. März 1939 traf sich Hácha, nachdem er stundenlang auf das Ende des Films gewartet hatte, den Hitler sich ansah, mit dem »Führer« und seinen Helfershelfern. Hitler kam sofort zur Sache. Wegen der böhmischen Provokation und der Unruhen in der Slowakei habe Deutschland beschlossen, die sogenannte »Rest-Tschechei« in das Reich einzugliedern. Darüber gebe es überhaupt keine Diskussion mehr. Die Invasion werde um 18 Uhr beginnen. Der völlig überrumpelte Hácha weigerte sich anfangs, die Dokumente zu unterzeichnen, die man ihm hinschob. Göring drohte, wenn er nicht zum Federhalter greife, werde die Luftwaffe binnen weniger Stunden Prag dem Erdboden gleich machen. Der Präsident beriet sich telefonisch mit seinem Kabinett, das ihm wenig hilfreich riet, dass aktiver Widerstand unmöglich sei und eine ausdrückliche Annahme gegen die Verfassung verstoße. Hácha weigerte sich weiterhin, dann fiel er in Ohnmacht. Nachdem Hitlers Leibarzt mit einer Injektion aus Dextrose und Vitaminen Hácha wiederbelebt hatte, gab der in jeder Hinsicht geschwächte Präsident um vier Uhr früh schließlich nach. Die Stellungnahme, die er unterschrieb, forderte die tschechische Armee auf, die deutsche Besetzung zu akzeptieren, und erklärte, dass er, Hácha, »das Schicksal des tschechischen
Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches« lege.
    In derselben Nacht hoben bei dichtem Schneetreiben nur wenige Flugzeuge vom Prager Flughafen Ruzyně ab. Eines war eine holländische Maschine, die die Briten geschickt hatten, um Oberst Moravec zu retten. Er nahm zehn hohe Mitglieder seines Stabs mit sich, dazu so viele geheime Akten und so viel Bargeld, wie sie tragen konnten. Am nächsten Morgen rückten deutsche Truppen auf Prag vor. Weil zwei Regimenter noch nicht den Befehl zur Kapitulation erhalten hatten, leisteten sie für kurze Zeit Widerstand und verdienten sich

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