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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Identität und Unabhängigkeit zu bewahren, und hofften, dass der Krieg – ungeachtet der frühen deutschen Siege – bald vorbei war. Nach etlichen Monaten sahen sich die Mitglieder der Hácha-Regierung jedoch in der unhaltbaren Position, dass sie von tschechischen Loyalisten gehasst, von deutschen Aufsehern schikaniert und von keinem geachtet wurden.
    Von der US-Gesandtschaft aus beobachtete George Kennan das Geschehen. Der während seiner ganzen Laufbahn für seinen Scharfsinn und Nüchternheit bekannte Kennan merkte dazu an: Eines der ältesten und hartnäckigsten menschlichen Dilemmas besteht in der Wahl zwischen einer begrenzten Kollaboration mit dem Bösen im Interesse einer Linderung und einem kompromisslosen, heldenhaften, aber selbstmörderischen Widerstand dagegen. Alle, die an dem Drama der Tschechoslowakei nach München beteiligt waren, beobachtete er, »mussten sich in der einen oder anderen Form mit diesem Dilemma auseinandersetzen«. 17
     
    V or der Flucht ins Exil hatte Beneš mit Freunden über die Notwendigkeit gesprochen, einen vereinigten Widerstand aufzubauen, der eine klare politische Linie vertrat und sowohl im Landesinneren als auch im Ausland wirkungsvoll operierte. Der 39-jährige Privatsekretär des Präsidenten Prokop Drtina zählte zu denjenigen, die in Prag blieben, um das Projekt zu organisieren. Die Dissidenten hatten viele Freunde, die immer noch in der Regierung tätig waren, einige im Büro des Bürgermeisters und im Stadtrat, aber auch Buchhalter, Leute in der Telefonzentrale und Schalterbeamte, die nützliche Informationen liefern konnten. Das Netzwerk stützte sich in erster Linie auf die politischen Anhänger von Beneš, das Militär, ehemalige Mitglieder der Tschechoslowakischen Legion, Pfadfinder, Turner des Verbandes Sokol und jüdische Organisationen wie den Sportverein Maccabi. Von Anfang an half der Widerstand, Soldaten und andere Flüchtlinge über die Grenze nach Polen, und als dieser Fluchtweg geschlossen war, durch Ungarn zu schmuggeln.
    Wie bei jeder Tätigkeit im Untergrund waren sichere Kommunikationswege lebenswichtig. In den ersten Wochen hatten die Verschwörer eine verschlüsselte (in einer Zahnpastatube versteckte) Nachricht erhalten, in der eine Adresse in der Türkei genannt wurde, über die es möglich war, Berichte an Beneš weiterzuleiten. Drtina schickte über diesen Kanal regelmäßig Berichte an den Exilpräsidenten. Aber auch hier war Geheimhaltung unerlässlich, und ich stellte bei meinen Nachforschungen fasziniert fest, dass Josef Korbel von einem Anführer des Widerstands für einen von ihm vorgeschlagenen, raffinierten, auf Wörterbüchern basierenden Code gelobt wurde. Kaum hatte man sich allerdings auf die Wörterbuch-Variante geeinigt, da wurde sie auch schon durch ein ausgefeilteres System ersetzt, das die Armee entwickelt hatte.
    Während des gesamten Krieges wurde schriftliches Material von sympathisierenden Eisenbahnarbeitern geschmuggelt, die zwischen Depots in Prag, Bratislava, Budapest und Belgrad hin und her fuhren. Ungeachtet der damit verbundenen Risiken stellte der Untergrund auch Funkverbindungen her, die – wenn auch mit zeitweiligen Unterbrechungen  – Tausende von Botschaften aus dem Protektorat nach England und in die Sowjetunion sendeten. Die Ausrüstung wurde von städtischen Ingenieuren bedient, die nachts zu den Verstecken radelten. Der Hauptsender des Untergrunds mit dem Decknamen Libuše war ein Apparat von der Größe einer Aktentasche, mit Anzeigen und Knöpfen, an dem eine Stacheldrahtantenne befestigt war, die sich in einer steifen Reihe von Knoten in den Himmel rankte. Der Apparat befindet sich heute im Tschechischen Nationalmuseum.
    Die Rebellen hatten zwar ein zentrales Koordinationsgremium (den Zentralausschuss des Heimatwiderstandes), aber die verschiedenen Gruppen und Zellen waren ganz bewusst so unabhängig voneinander wie möglich. Die Zusammenkünfte wurden klein gehalten und auf ein einziges Thema beschränkt. Neuen Kämpfern wurde erst nach einer gründlichen Überprüfung die Teilnahme erlaubt. Vor der Rückkehr nach Hause riefen die Anführer immer an, um sicherzugehen, dass die Gestapo nicht im Wohnzimmer auf sie wartete. Ein Topf Chrysanthemen vom Balkon entfernt oder die veränderte Position eines Vorhangs konnten ebenfalls als Warnsignal dienen.
Wichtige Dokumente wurden dort versteckt, wo Papierstapel keinen Verdacht erregten, zum Beispiel in der öffentlichen Bibliothek, oder an einem Ort, wo

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