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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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schon wenige Monate später jedes einzelne Wort zurücknehmen muss.
     
    I n London erlebte Jan Masaryk hautnah den begeisterten Empfang, den man dem britischen Premierminister bei der Rückkehr aus München bereitete; beeindruckend waren die Umarmungen, die These von einem »ehrenhaften Frieden«, die Prophezeiung des
»Friedens in unserer Zeit«, und die glücklichen Rufe: »He’s a jolly good fellow!« und »Hipp, hipp, hurra!«. Wochenlang legte das Wunder der Diplomatie eine Art Zauberbann über die britische Vorstellungskraft. Das Unterhaus billigte die Linie von München mit einer Mehrheit von fast drei zu eins; in Spielzeugläden wurden Neville-Chamberlain-Puppen ausgestellt; Floristen dekorierten ihre Schaufenster mit Bildern von dem triumphierenden Staatsmann, umrahmt von Rosen; und Unternehmen schalteten ganzseitige Glückwunschanzeigen. Eine Nation, die die Luft angehalten hatte, fühlte sich endlich imstande, erleichtert auszuatmen.
    Masaryk selbst blieb keine andere Wahl als der Rücktritt als Gesandter in Großbritannien. In der Vorbereitung auf diesen Schritt entfernte er persönlich das Porträt seines Vaters von den Wänden der tschechoslowakischen Gesandtschaft und stattete, wie es in diplomatischen Kreisen Brauch ist, Downing Street 10 einen Höflichkeitsbesuch ab. Da sich der Premierminister verspätete, wurde Jan Masaryk zur gnädigen Frau Chamberlain geleitet. Nach etlichen unbedeutenden Wortwechseln erhellte sich das Gesicht der Frau. »Oh, Herr Masaryk«, rief sie aus, »ich muss Ihnen unbedingt die hübsche Zigarettendose zeigen, die Neville neulich von einem Bewunderer bekommen hat.« 103 In die Dose war eine Karte von Europa eingraviert, geschmückt mit drei Saphiren: einer markierte Berchtesgaden, der zweite Godesberg und der dritte München.
    Im britischen Parlament zählte Churchill zu den wenigen Abgeordneten, die nicht jubelten, und führte den Abgeordneten einen Punkt vor Augen:
    … nämlich, dass wir eine völlige, durch nichts gemilderte Niederlage erlitten haben. Ich glaube, dass Sie sehen werden, dass die Tschechoslowakei im Laufe einer Periode, die vielleicht nach Jahren, vielleicht aber nur nach Monaten bemessen ist, von dem Naziregime verschlungen werden wird … Es [das britische Volk] soll wissen, dass wir, ohne Krieg, eine Niederlage erlitten haben, deren Folgen uns für eine lange Strecke begleiten werden. 104
    Auf der anderen Seite des Atlantiks reagierte man auf das Münchner Abkommen überwiegend wütend, weniger auf Deutschland, als auf England. Die Amerikaner waren nicht bereit, selbst in den Krieg zu ziehen, und hatten sich darauf verlassen, dass Europas Staatschefs die Probleme des Kontinents lösen, bevor ihre eigene Einmischung erforderlich wurde. Folglich stießen britische Repräsentanten, die in die Vereinigten Staaten geschickt wurden, um die Logik hinter München zu erklären, auf Feindseligkeit und Spott. Dorothy Parker bezeichnete Chamberlain wegen seiner häufigen Flugreisen als »den ersten Premierminister der Geschichte, der mit einem Tempo von 400 Stundenkilometern kriecht«. 105 Damals hatten viele Leute, genau wie heute, die Gewohnheit, ihre Ansichten durch Symbole auszudrücken. In New York verkauften die Läden für einen Dollar eine Anstecknadel in der Form eines weißen Regenschirms – das Symbol für Chamberlain in der Farbe der Kapitulation.
     
    B eneš sollte später behaupten, die Sowjetunion hätte in der schweren Zeit als einzige Nation an der Seite der Tschechen und Slowaken gestanden, und die kommunistische Propaganda schlachtete diese Behauptung voll aus. Aber stimmt das überhaupt? Nach dem sowjetisch-tschechoslowakischen Beistandspakt von 1935 versprachen die Länder, sich an den Völkerbund um Hilfe zu wenden, falls einer der beiden bedroht werde. Sie versprachen ebenfalls, einander im Fall eines bewaffneten Angriffs zu helfen, vorausgesetzt, dass Frankreich ebenfalls Beistand leistete. Sowjetische Funktionäre hatten wiederholt erklärt, sie seien bereit, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, ohne jedoch konkret darzulegen in welcher Form. Diese Frage war wichtig, weil russische Truppen, um tschechoslowakischen Boden zu erreichen, entweder Polen, das jedoch die Transitrechte verweigerte, oder Rumänien, das lediglich für Flugzeuge den Luftraum freigab, durchqueren mussten.
    Für die UdSSR spricht jedoch der Umstand, dass ihre Führer noch vor München versuchten, Hitler zu einem Rückzug zu bewegen. Sie warnten ihn, den Deutschen

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