Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
Vom Netzwerk:
begriff, worum es ging.
    An Wochenenden kamen tschechische Freunde zu Besuch und brachten, wegen der Lebensmittelknappheit, etwas zu Essen mit. Auf den Rat dieses Freundeskreises hin, ließen sich meine Eltern an einem Nachmittag Ende Mai 1941 in einer Zeremonie in der Herz-Jesu-Kirche katholisch taufen. Ich wurde damals ebenfalls getauft, kann mich daran aber nicht erinnern.
    Als ich im Jahr 1997 erfuhr, dass meine Familie ursprünglich jüdisch war, ging ich anfangs davon aus, dass meine Eltern zum Katholizismus konvertiert waren, um dem Holocaust zu entgehen. Das war natürlich Unfug. Wir hatten damals bereits in England gelebt. Und eine Konversion hätte in den Augen der Nationalsozialisten ohnehin keine Rolle gespielt. Warum entschlossen sich meine Eltern also zu diesem Schritt? Sie wollten damit gewiss nicht ihre Freunde und Bekannten täuschen, für die ihre jüdische Herkunft kein Geheimnis war. Überrascht, wie ich war, konnte ich mit dem Abstand von über einem halben Jahrhundert nur Spekulationen anstellen. Meine Eltern konnte ich schließlich nicht mehr fragen. Dennoch habe ich lange nachgedacht und versucht, ihre Entscheidung zu verstehen.
    Zunächst einmal glaube ich kaum, dass theologische Argumente dabei überhaupt eine Rolle spielten. Mein Vater wuchs in einem nahezu rein weltlichen Haushalt auf; laut meiner Cousine Alena verbot Großvater Arnošt der Familie sogar, in die Synagoge zu gehen. Meines Wissens war weder meine Mutter noch mein Vater stark von den jüdischen Denkern beeinflusst, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit hatten, darunter Martin Buber. Sein Werk Drei Reden über das Judentum (Original 1911) hatte den Grundstein für den tschechischen Zionismus gelegt. Bei ihrer Trauung hatten meine Eltern sich als konfessionslos bezeichnet.
    In Berkhamsted: (vorne von links) George Korbel, Alena Korbelová, die Autorin; (hinten) Ola Korbelová, Dáša Deimlová, Mandula und Josef Korbel
    Das heißt keineswegs, dass sie in dieser Hinsicht die gleiche Auffassung vertraten. Zumindest oberflächlich war meine Mutter emotionaler und nicht so vergeistigt wie mein Vater. Wie viele Tschechen und Slowaken war sie eine Spiritualistin, die glaubte, dass es Mysterien gibt, welche die Wissenschaft nicht lösen kann, und dass die Grenze zwischen Leben und Tod nicht so unüberbrückbar ist, wie gemeinhin angenommen wird. Die Angst und die Belastung der Kriegsjahre, die durch die Trennung von den Liebsten als noch schmerzlicher empfunden wurden, dürfte ihre Sehnsucht nach Seelenfrieden noch verstärkt haben. Zu den engsten Freunden meiner Eltern zählten damals Jaroslav und Milada Stránský, beide fromme Katholiken. v
    Der kleinwüchsige, ehemalige Professor und Zeitungsredakteur Jaroslav Stránský gehörte der Exilregierung an und steuerte häufig Beiträge zum tschechischsprachigen Radioprogramm bei. Seine Familie, die ursprünglich ebenfalls jüdisch war, war bereits in den 1890er Jahren konvertiert. Milada hingegen war in einem frommen Elternhaus aufgewachsen und wollte unbedingt die Seelen ihrer Mitmenschen retten. Eine Ermunterung seitens der Stránskýs hätte durchaus dazu beitragen können, dass meine Eltern mit dem Gedanken an eine Konversion zu spielen begannen, insbesondere meine Mutter.
    Ein zweiter Faktor, meiner Meinung nach ein gewichtigerer, könnte der Wunsch meiner Eltern gewesen sein, die Identität unserer Familie als tschechoslowakische Demokraten zu unterstreichen. Unsere Heimat war überwiegend christlich, und viele Tschechen und Slowaken setzten die jüdische Kultur zu Unrecht mit den Feinden ihrer nationalen Aspirationen gleich. Diese Vorurteile, die bis in die Zeit Österreich-Ungarns zurückreichen, waren während der Republik Tomáš Masaryks abgebaut worden, aber die Mehrheit der tschechoslowakischen Juden sprach immer noch entweder Deutsch oder Ungarisch. Die Sehnsucht, ein echter Bürger der Tschechoslowakei zu sein (und als solcher angesehen zu werden), erklärt womöglich, weshalb meine Familie im Lauf des Krieges den Umlaut aus unserem Familiennamen strich, auch wenn das Fehlen dieses Buchstabens auf englischen Schreibmaschinen ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte. w Der Name »Korbel« mit der Betonung auf der zweiten Silbe klang tschechischer und nicht so deutsch wie »Körbel«.
    Schließlich, und das ist wohl der Hauptgrund, glaube ich, dass meine Eltern wegen ihres Kindes in die christliche Kirche eintraten, und wegen der Kinder, die sie noch

Weitere Kostenlose Bücher