Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
und den eher kleinen … Leuten meist mit schlechten Zähnen, die keine Schönheiten sind, aber zufällig zu den am bestgeschulten und zuverlässigsten Arbeitern der Welt zählen. 70
Unterdessen streuten britische Agenten in den amerikanischen Medien Gerüchte von den angeblichen Plänen Hitlers, die westliche Hemisphäre zu dominieren und eine organisierte Religionsausübung
zu verbieten. Die Kombination aus Respekt für England und Verachtung für die Nationalsozialisten rückte eine bislang ambivalente Bevölkerung bereits an den Rand des Engagements. Eine Umfrage Mitte des Jahres enthüllte, dass zwar immer noch 70 Prozent gegen den Kriegseintritt waren, dass aber ein ebenso hoher Prozentsatz dafür plädierte, die Deutschen um jeden Preis zu schlagen, selbst wenn das hieß, sich selbst ins Getümmel zu stürzen.
Die Verbesserung der transatlantischen Beziehung wurde durch das Eintreffen eines neuen US-Botschafters in London, John G. Winant, zusätzlich gefördert. Während der Luftschlacht hatte sich Botschafter Kennedy jeden Abend in die Randbezirke zurückgezogen, im Ausland lebenden Amerikanern davon abgeraten, sich an dem Heimatschutz zu beteiligen, und sich offen pessimistisch über die britischen Aussichten geäußert. Der neue Gesandte suchte sich eine Wohnung im Zentrum von London, spornte Freiwillige an und brachte sein volles Vertrauen in Englands langfristigen Erfolg zum Ausdruck. Die Freude über seine Person wurde von Anfang an deutlich: Winants Zug wurde an der Victoria Station von König Georg empfangen, es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Monarch einen ausländischen Diplomaten in dieser Form empfing.
Als die Gespräche in Großbritannien ihren Höhepunkt erreichten, speiste Harry Hopkins mit Churchill in Glasgow. Vor seiner Abreise sah er den Premier direkt an und sagte: »Ich nehme an, Sie würden gerne wissen, was ich Präsident Roosevelt bei meiner Rückkehr sagen werde. Nun, ich werde Ihnen einen Vers aus der Heiligen Schrift zitieren: ›Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will auch ich begraben werden.‹« 71 Dieses Versprechen Ruths an ihre Schwiegermutter wird noch heute gerne zitiert, wenn britische und amerikanische Politiker öffentlich ihre Zuneigung zueinander zum Ausdruck bringen. Damals trieb es Churchill die Tränen in die Augen. In den folgenden Monaten wurden Panzer, Lastwagen, Torpedoboote, Lebensmittel und Waffen jeder Art im Wert von Hunderten Millionen Dollar aus dem Arsenal der Demokratie nach England überführt.
Ä hnlich wie Ahab unerbittlich seinen Wal jagte, war Edvard Beneš fest entschlossen, das Münchner Abkommen über alle Weltmeere der Diplomatie zu jagen – bis zum bitteren Ende. Beneš war überzeugt, dass seine Entscheidung gegen einen Kampf damals richtig gewesen war, wusste aber auch, dass viele Anhänger von ihm anderer Meinung waren. Ihre Kritik und die verbreitete Annahme, dass T. G. Masaryk mehr Rückgrat gezeigt hätte, trafen ihn tief. Hatte Beneš im Moment der Krise tatsächlich Schwäche gezeigt? Er war anderer Meinung, aber wenn er seinen Ruf – und sein Land – retten wollte, durfte er keine Zeit mit Grübeln verschwenden: München musste, wie der Wal, mit Harpunen gejagt und zur Strecke gebracht werden.
Sein erster Schritt war die Anerkennung der provisorischen Regierung im Exil. In einem zweiten Schritt sollte die britische Regierung überredet werden, auf die Einschränkung »provisorisch« zu verzichten. Wie Jan Masaryk jeden, der ihm zuhörte, ermahnte, waren die Tschechen und Slowaken, die im Kampf gegen die Nazis gefallen waren, nicht »provisorisch« tot. In den Augen meiner Eltern und ihrer Bekannten lag die Ungerechtigkeit, mit der wir behandelt wurden, auf der Hand. Für andere Gruppen im Exil hatte die Krone Botschafter ernannt, wir mussten uns hingegen mit einem Verbindungsoffizier zufriedengeben. Bei diplomatischen Veranstaltungen wurden unseren Vertretern, auch wenn sie immerhin wieder auf der Gästeliste standen, an jeder Tafel die schlechtesten Plätze zugewiesen, und in jeder Reihe die letzten. Die polnischen und serbischen Delegationen in London hatten keine herabsetzenden Adjektive vor ihren Namen. Beneš wusste, dass es ihm nie gelingen würde, das Abkommen von München zunichtezumachen, wenn seine Regierung nicht als legitime Vertretung angesehen wurde. Damit er
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