Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Erfolg« gewesen.
Aber wenn es etwas gab, das die Deutschen auf keinen Fall dulden konnten, so war es ein Erfolg der Tschechen und Slowaken.
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DIE WENZELSKRONE
Präsident Hácha hielt die Schlüssel hoch, damit seine Gäste sie sahen: einen für jedes der sieben Schlösser zur königlichen Kammer und zu den Kronjuwelen Böhmens, dem Vermächtnis einer tausendjährigen tschechischen Geschichte. Vor ihm befanden sich, auf einem Tisch in der Mitte ausgebreitet, das Zepter des Königs, der Reichsapfel und Umhang, das Kreuz und das Schwert für die Krönung und die strahlend goldene Wenzelskrone. Langsam drehte sich Hácha halb um und übergab den Bund. Reinhard Heydrich, der stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, packte die Schlüssel fest und hielt sie ebenfalls hoch. Hier in der Wenzelskapelle des Veitsdomes händigte am 19. November 1941 der angebliche Staatschef der Tschechen das allerheiligste Erbstück der Nation den Deutschen aus. Heydrich lächelte liebenswürdig, als er die Schätze inspizierte. Er packte den Schwertgriff und strich sanft über die Lilien an der Spitze der Speere der juwelenbesetzten Krone. In einer freundschaftlichen Geste gab er Hácha drei Schlüssel zurück und ermahnte ihn, er solle dies gleichzeitig als Zeichen des Vertrauens und der Verpflichtung ansehen.
Die eigentliche Bedeutung der Zeremonie war ebenso offensichtlich wie die Körpersprache der Teilnehmer. Heydrich strahlte mit seiner Größe von über ein Meter achtzig und der sorgfältig herausgeputzten Uniform Stärke und Ordnung aus; der fast einen Kopf kleinere Hácha stand vornüber gebeugt und mit ausdruckslosem Gesicht. In den Augen der Deutschen war die angemessene Beziehung zwischen den beiden Völkern ein Jahrtausend zuvor festgelegt worden, als Wenzel zum ersten Mal mit Sachsen Frieden geschlossen und angefangen hatte, einen jährlichen Tribut zu zahlen. Die Deutschen waren zum Herrschen bestimmt, die Tschechen zum Dienen.
Bild 12
Hácha übergibt die Schlüssel an Heydrich. Ganz links Heydrichs Stellvertreter Karl Hermann Frank
Acht Wochen zuvor hatte Hitler in seinem Bunker in Ostpreußen Karl Hermann Frank getroffen. Der Sudetendeutsche und Staatssekretär im Protektorat Böhmen und Mähren plädierte für eine härtere Linie gegen die Tschechen. Es ging um die wachsende Beunruhigung, die durch die Widerstandsbewegung ausgelöst wurde. Da der Vormarsch in der Sowjetunion allmählich ins Stocken geriet, konnte sich die Wehrmacht einen Rückgang der Produktion und Lieferung von Rüstungsgütern nicht erlauben. Frank, der stets seine eigene Karriere im Blick hatte, schob Reichsprotektor Neurath die Schuld in die Schuhe, der, so Frank, die einheimische Bevölkerung verhätschele und sich nicht den nötigen Respekt verschaffe. Ob man nicht einem stärkeren Mann den Posten übertragen sollte? Hitler stimmte zu, aber statt sich an Frank zu wenden, bat er einen der meistbeschäftigten Akteure im Reich um Hilfe. Reinhard Heydrich, der Stellvertreter von Hitlers Geheimdienstchef Heinrich Himmler, war für sämtliche Polizeioperationen in ganz Deutschland zuständig. Seit August 1940 war er der Chef der Internationalen kriminalpolizeilichen Kommission, kurz: INTERPOL. Außerdem war er Vorsitzender
des Deutschen Sportbunds. Am 27. September flog er nach Prag, um die zusätzlichen Pflichten als Stellvertretender Reichsprotektor zu übernehmen. Neurath sollte sich »aus gesundheitlichen Gründen« Urlaub nehmen.
Der blauäugige und blonde Heydrich mit seinen 37 Jahren und den markanten Gesichtszügen war der ideale Nationalsozialist: hingebungsvoll, organisiert, ehrgeizig und gnadenlos. Seinen extremen Nationalismus und Antisemitismus hatte er von seinem Vater geerbt, einem mittelmäßigen Komponisten, über den eine Zeitlang falsche Gerüchte kursierten, er sei Jude. Ehe der junge Heydrich als Schützling Himmlers seine Berufung fand, war er aus der Kriegsmarine entlassen worden, weil er eine Nacht mit einer Frau verbracht hatte, nachdem er kurz zuvor einer anderen einen Heiratsantrag gemacht hatte. Seit Juni 1932 NSDAP-Mitglied, hatte Heydrich sich einen Ruf bei der Entlarvung und Bestrafung innerer Feinde gemacht. Zur Anerkennung seiner Verdienste wurde er mit dem begehrten Totenkopfring der SS ausgezeichnet. Als der Krieg begann, handelte er konsequent dort, wo andere eventuell gezögert hätten. Auf Himmlers Anweisung hin organisierte er Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes
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