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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Flüchtlingslagern, Wahllokalen oder Atomanlagen, eine Lehre ziehen: Traut keinem – bohrt nach; legt selbst euren Zeitplan fest, macht eure Hausaufgaben. Denkt an das Sprichwort, dass schon das kleinste Wissen gefährlich sein kann. Der Wahrheit ist durch eine abgesagte oder abgebrochene Inspektion vermutlich mehr gedient als durch Schönfärberei.
    Im Fall Theresienstadts waren die tragischen Konsequenzen der mangelhaften Inspektionen weit über die Gefängnismauern hinaus zu spüren. Himmler hatte dem Roten Kreuz auch eine Gelegenheit versprochen, ein Arbeitslager in Polen zu inspizieren. Doch nach dem Besuch der Delegation in dem »Kurort« wurde die Angelegenheit nicht weiter verfolgt. Das hieß wiederum, dass das »Familienlager« in Auschwitz-Birkenau keinen Zweck mehr erfüllte und nicht mehr benötigt wurde. Im Dezember und Mai hatte man insgesamt
11 000 Juden aus dem Ghetto dorthin gebracht. Im Juli wurden nunmehr einige zu Arbeitseinheiten ausgewählt; Zwillinge wurden zu dem berüchtigten Arzt Josef Mengele geschickt; die meisten wurden ermordet. aa
    Einen Monat später beschlossen die Deutschen, aus den kosmetischen Veränderungen in Theresienstadt weiteres Kapital zu schlagen, indem sie einen Propagandafilm mit dem Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt produzierten. Die Szenen eines sorglosen und blühenden Lebens, die man für das Rote Kreuz einstudiert hatte, wurden vor laufender Kamera wiederholt. Einmal mehr wurden
Frauen in hübsche Kleider gesteckt und mussten durch die sommerliche Hitze schlendern. Mädchen liefen einen Straßenzug entlang und bissen dabei herzhaft in frisches Obst, das man ihnen, sobald sie um die Straßenecke kamen, halb aufgegessen aus der Hand riss.
    Eine bittere Satire in der Jungenzeitschrift Vedem gibt die Stimmung treffend wieder:
    Es gab eine Wochenschau, die Herren Regisseure Pečenka, Frič usw., also die großnasigen, dicken und bebrillten Herren, antreten zum Filmen. Und freundlich dreinblicken, zufrieden, als ob Sie eine Gans essen würden. Na, du stinkender Jude, wie schaust du drein, hier, ich klebe dir eine Ohrfeige, und schon regnet es Ohrfeigen, Stöße und Fußtritte von irgendeinem grünen Bengel auf den Kopf des machtlosen Greises. Oder: Alte Mütterchen wurden als Hundertschaft zum Baden abkommandiert … Und das Großmütterchen, das nicht einmal schwimmen kann, muss ins Wasser, ob es will oder nicht. Ein weiterer Akt des verehrten Films: Orthodoxe Juden und Rabbiner wurden in die Stadtkapelle geschickt und mussten im Rhythmus von Jazz im Takt herumspringen. 59
    Das Schauspiel war abscheulich, aber das war ja eigentlich alles. Wie Redlich in seinem Tagebuch bemerkte: »Nicht einmal die Könige von Ägypten filmten die Kinder, die sie umbringen wollten.« 60
    Es kamen weiterhin neue Gefangene nach Theresienstadt; im Spätsommer trafen über 2000 aus den Niederlanden ein. Da die Ghettobevölkerung wiederum anstieg, machten sich die Nationalsozialisten allmählich Sorgen wegen der Möglichkeit eines Aufstands. Um dem entgegenzutreten, nahmen sie die Transporte wieder auf, in erster Linie arbeitsfähige Männer. Den Ghettobewohnern wurde gesagt, dass man die Deportierten nach Dresden schicken würde, um bei Bauprojekten mitzuhelfen. Die Nachricht schien glaubwürdig, als nur Männer im Alter von 16 bis 55 Jahren weggeschickt wurden. Die Altersspanne war so breit, dass sie sowohl Petr Ginz, den vielversprechenden jungen Schriftsteller, als auch Rudolf Deiml, den Vater meiner Cousinen Dáša und Milena, erfasste.
    Inzwischen war Deiml zum Gesundheitskommissar für das ganze Lager ernannt worden, zuständig für die Inspektion der Küchen und die Prüfung des Wassers und der Lebensmittel. Früher hätte eine so angesehene Persönlichkeit ohne weiteres die Deportation verhindern können. Die Zeiten waren vorbei.
    Aber was bedeuteten die Deportationen tatsächlich? Die »Ältesten« waren überzeugt, dass die NS-Behörden ernst meinten, was sie über die neuen Transporte sagten. Während die Gefangenen in den Zug stiegen, wurde eine offizielle Erklärung verlesen, der zufolge die Leute sich keine Sorgen machen müssten, das Essen sei besser und die Arbeit eine Quelle der Befriedigung. Womöglich waren selbst Milena und Großmutter Olga beruhigt. Als die Aufseher einige Tage später bekannt gaben, dass es Verwandten gestattet werde, den Deportierten nachzureisen, meldeten sich mehrere Hundert freiwillig. Allmählich machte sich das Gefühl breit, dass

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