Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
genommen, und wir sind losgerannt.«
Die Schlafende tötete die Eltern des Mädchens. Doch dann nahmen die guten James und Alice Washburne es zu sich und zogen es als ihr eigenes Kind auf.
»Ich glaube, es hatte seinen guten Grund, dass wir dort unten waren«, erklärte ihre Mutter. »Als ich dich an dem Tag an meine Brust gedrückt habe, wusste ich ohne einen Funken des Zweifels, dass wir deine Eltern sein würden. Dass das unsere Bestimmung war.«
»Bestimmung«, wiederholte Fawn für Mimi.
Ruthie schüttelte den Kopf. Bestimmung, Schicksal, göttliche Fügung – solches Gerede war ihr immer auf die Nerven gegangen. Anzudeuten, dass der Mord an ihren leiblichen Eltern in irgendeiner Weise dem Willen des Universums entsprochen habe, machte es nur noch bitterer.
»Aber warum sind wir danach nicht von hier weggezogen?«, wollte sie wissen. »Meine Eltern waren ermordet worden. Ihr wusstet doch, was da draußen war!«
Mittlerweile konnte sie sich natürlich denken, was genau im Wald hauste: die kleine Schlafende, Gertie, für alle Ewigkeit von den Toten erwacht. Es war genau das eingetreten, wovor Auntie gewarnt hatte.
Irgendetwas hatte Candace getötet, hatte ihr wie ein Raubtier die Kehle herausgerissen.
Wenn es tatsächlich Gertie war, würde das auch erklären, was mit Willa Luce geschehen war, mit dem Jungen in den Fünfzigern oder dem verschollenen Jäger. Dann ergäben sogar einige der Geschichten, die Buzz und seine Freunde erzählten, einen Sinn. Ruthie erinnerte sich daran, wie ihre Eltern ihr als Kind immer wieder eingeschärft hatten: Geh nicht in den Wald. Kleinen Mädchen, die sich im Wald verirren, können schreckliche Dinge zustoßen.
Ihre Mutter nickte. »Oh ja, ich wusste, was da draußen war, was da oben in der Höhle wohnte. Als wir an dem Tag wieder beim Haus ankamen, hatten dein Vater und ich längst begriffen, wer sie war, auch wenn wir es kaum glauben konnten.«
»Wer war es denn, Mom? Wer hat in der Höhle gewohnt?«, fragte Fawn.
»Ein kleines Mädchen namens Gertie. Nur war sie kein gewöhnliches Mädchen. Sie war eine Schlafende.«
»Ruthie hat gesagt, Schlafende gibt es gar nicht in echt.« Fawn sah Ruthie vorwurfsvoll an.
»Oh, und ob es sie gibt«, erwiderte ihre Mutter. Erneut schwieg sie eine Weile, ehe sie weitersprach.
»Wie auch immer, wir schafften es jedenfalls zurück zum Haus. Dein Vater war der Ansicht, dass wir abfahren sollten, möglichst schnell und möglichst weit weg. Aber ich fand, dass man etwas tun musste – einen Weg finden, die Leute vor ihr zu schützen und dafür zu sorgen, dass das, was Tom und Bridget passiert war, nie wieder jemandem passierte. Ich konnte ihn überzeugen. Ob das nun gut war oder nicht.« Wieder hielt sie inne, zerkrümelte ihr Bananenbrot und schob die Stücke auf ihrem Teller hin und her.
»Sie ist an dem Abend zurückgekommen.«
»Wer?«, fragte Ruthie.
»Gertie. Ich habe ein Scharren oben im Schrank gehört und die Tür geöffnet, und da war sie. Ich dachte, ich müsste sterben vor Angst, aber Gertie sah so … betrübt aus, so traurig und allein. Sie konnte nichts dafür, dass sie so war, wie sie war. Also habe ich mit ihr geredet. Ich habe eine Abmachung mit ihr getroffen. Wir würden bleiben, und ich würde sie regelmäßig besuchen kommen. Ich würde ihr Gesellschaft leisten, ihr Geschenke bringen, ihr dabei helfen, Nahrung zu finden, aber als Gegenleistung musste sie mir versichern, dass sie uns in Ruhe lassen würde. Sie konnte nicht sprechen – ich glaube, keiner von ihnen kann das. Aber sie hat genickt und mich sogar angelächelt.«
Ruthie nickte wie betäubt. Noch immer konnte sie die Geschichte ihrer Mutter nicht ganz glauben. »Das heißt, im Grunde habt ihr an dem Tag gleich zwei kleine Mädchen adoptiert?«
»Ja«, sagte ihre Mutter. »Nur dass eins von ihnen eine wesentlich größere Bürde und Verantwortung war als das andere. Ich war fest davon überzeugt, dass ich sie schützen kann – und die Welt vor ihr. Außerdem hielt ich es für unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass niemand jemals einen neuen Schlafenden erschaffen konnte. Wir mussten das Wissen sicher verwahren.«
»Das heißt, Sie haben die Tagebuchseiten nicht vernichtet?«, erkundigte sich Katherine. »Sie haben sie die ganze Zeit über aufbewahrt?«
Was das anging, hatte Candace also recht gehabt. Am Ende hatte sie ihren Beweis bekommen, aber sie war dafür gestorben.
Ruthies Mutter schüttelte den Kopf. »Es kam uns nicht richtig vor, die
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