Winterfest
Bogstadveien und ist dann Richtung Zentrum weitergefahren. Am Nationaltheater haben sie ihn verloren.«
»Wissen Sie, wohin er wollte?«
»Nein, wir haben mit der KK nichts Besonderes eingefangen. Er spricht am Telefon nicht über solche Sachen.«
KK war die gebräuchliche Abkürzung für ›Kommunikationskontrolle‹ und bedeutete, dass die Polizei jegliche Kommunikation einer Person über Telefon und Internet abhörte. Es war eine der verdeckten Ermittlungsmethoden, die im Kampf gegen schwere und organisierte Kriminalität am meisten verwendet wurde, aber sie war nicht so effektiv wie gewünscht. Die jeweiligen Zielpersonen der Kommunikationskontrolle waren sich über das Interesse der Polizei im Klaren und benutzten vorher abgesprochene, stichwortartige Codes, und meist auch nur, um Zeit und Ort für ein abhörsicheres Gespräch zu vereinbaren.
»Möglicherweise hat er ein Handy mit einer Mobilnummer, die wir nicht kennen«, fuhr Leif Malm fort. »Wir überwachen seine Wohnung und das Shazam Station, für den Fall, dass er an einem der beiden Orte auftaucht.«
»Was ist mit Internet?«
»Er liest sozusagen alles, was die Onlinezeitungen über den Fall schreiben. Außerdem ist da noch was, das den Verdacht erhärtet, er könnte in den Vorfall mit dem Leichenwagen involviert sein. Er hat sich lange auf Webseiten aufgehalten, die sich mit Feuer und Verbrennung beschäftigen. Eine, auf der er die meiste Zeit verbracht hat, befasst sich mit Verbrennung und körperlichen Schäden als Folge von Hitzeeinwirkung. Die Suchbegriffe deuten darauf hin, dass er wissen will, wie lang anhaltend und intensiv die Hitze sein muss, bevor ein Körper komplett verbrennt, und welche Möglichkeiten der Identifizierung aufgrund von Zahnschema und DNA es bei einer Brandleiche gibt.«
»Das ist interessant«, sagte Wisting.
»Ja, es könnte Beweiskraft erhalten, falls es zum Einsatz der KK kommt«, stimmte Leif Malm zu.
»Hat die Quelle noch mehr geliefert?«
»Nein. Es gab gestern kein Treffen zwischen ihm und Rudi. Nicht auszuschließen, dass er kalte Füße bekommt und sich zurückziehen will.«
»Das darf nicht passieren«, sagte Wisting. »Wir brauchen ihn.«
»Petter ist dabei, ihn zu motivieren.«
»Was sind eigentlich seine Motive?«, fragte Wisting. »Wa rum bringt der Informant sich in eine so gefährliche Situation?«
Am anderen Ende blieb es für einen Moment still. Der Einsatz von Polizeispitzeln war heikel und konnte sich als ein Spiel herausstellen, bei dem die Polizei als Spielfigur benutzt wurde. Wer der Polizei als Informant diente, hatte oft ein Eigeninteresse daran, Rache zu üben oder die Position desjenigen einzunehmen, den er ans Messer lieferte. Das bedeutete, dass es ein gefährliches Spiel war, mit einem für den Informanten lebensbedrohlich hohen Einsatz. Deshalb kannte auch nur ein ganz eng begrenzter Kreis von Ermittlern die Identität des Informanten.
»Das bleibt unsere Sache«, antwortete der Geheimdienstchef.
Wisting war versucht zu fragen, ob sie daran gedacht hatten, dass der Informant ein Interesse daran haben könnte, von sich abzulenken. Dass er mit den Informationen, die er lieferte, den Verdacht von sich selbst auf eine verlässliche dritte Person lenken wollte. Aber dann entschied er sich, es sein zu lassen und darauf zu vertrauen, dass die damit befassten Kollegen speziell in der Informantenbetreuung geschult waren.
»Wie ich höre, haben die Piloten des Polizeihubschraubers jede Schuld am Massentod der Vögel bei euch zurückgewiesen«, sagte Leif Malm, als wollte er lieber von etwas anderem sprechen. »Sogar die amerikanischen Zeitungen berichten davon. Rudi Muller interessiert das auch. Er liest alles, was er darüber im Internet findet.«
»Ich vertraue darauf, dass Sie mich auf dem Laufenden halten«, erwiderte Wisting, um beim Thema zu bleiben.
»Sobald sich was tut, erhalten Sie Bescheid«, versicherte Leif Malm.
Wisting beendete das Gespräch in dem bestimmten Gefühl, dass der Leiter der Sektion Nachrichtenbeschaffung ihm nicht alles gesagt hatte. Er trat ans Fenster. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen. Ein dichter, feiner Nieselregen, der die Stadt und die Landschaft noch grauer aussehen ließ als bisher.
Ein Vogel mit breiten Schwingen flog von einem Riss im Schornstein der alten Fabrik unweit des Polizeigebäudes auf. Er kreiste und stieß heisere Schreie aus, ehe er in lautlosem Gleitflug über die Häuserdächer aus dem Blickfeld verschwand.
Auf einmal
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