Winterfest
den scharfen Wind, der über die nackten Dünen fegte, um sich die Haare aus dem Gesicht pusten zu lassen.
»Der Tatort ist nicht weit entfernt«, widersprach ihr Vater und folgte ihr ins Haus. »Ich muss mit Thomas R ø nningen sprechen.«
Line legte die Kameratasche ab. »Habt ihr den Tatort freigegeben?«
»Ja, wir sind gestern Abend fertig geworden. Ich erreiche ihn telefonisch nicht, und da dachte ich, ich fahre einfach mal vorbei und sehe nach, ob er in der Hütte ist.«
»Hat er keine Aussage gemacht?«
»Doch, aber ich habe noch ein paar Fragen. Zu einigen Details, die geklärt werden müssen.«
Line wollte nachfragen, ließ es aber sein.
»Hier war ich schon viele Jahre nicht mehr«, sagte ihr Vater und sah sich um. »Gemütlich.«
»Ich fühle mich hier sehr wohl.« Sie ging zur Küchenanrichte und füllte Wasser in den Kessel. »Tasse Tee?«
»Danke, gern«, erwiderte er.
Wisting ging von Zimmer zu Zimmer und sah sich um, dann setzte er sich an den Tisch vor dem großen Fenster.
»Du solltest deinen Laptop nicht so offen stehen lassen«, sagte er. »Man kann ihn leicht von draußen sehen. Das könnte Einbrecher anlocken.«
»Du hast recht«, erwiderte sie. »Ich bin froh, dass ich Freitagabend nicht hier war, als das alles passiert ist.«
Ihr Vater griff nach der Visitenkarte, die Benjamin Fjeld zurückgelassen hatte. »Bist du am Freitag nach unserem Essen gleich nach Hause gefahren?«, fragte er und drehte die Vistitenkarte zwischen den Fingern.
»Ja, ich habe ein bisschen eingekauft und mir R ø nningens Sendung im Fernsehen angeschaut.«
»Warst du mit dem Auto unterwegs?«
»Nein, ich bin mit der Straßenbahn gefahren. Das ist viel einfacher.« Sie setzte sich, während sie darauf wartete, dass das Teewasser kochte. »Tommy hatte das Auto.«
»Warum hat er eigentlich nicht mit uns gegessen?«
»Ich weiß nicht genau. Er sagte etwas von einem Termin mit ein paar Dänen, die ein Restaurant eröffnen wollen. Es hat mich eigentlich nicht interessiert. Mir war es ganz recht, dass er nicht dabei war. Ich hatte mich schon entschieden, mit ihm Schluss zu machen.«
Ihr Vater legte die Visitenkarte des jungen Polizisten wieder hin. »Wann hast du es ihm gesagt?«
»Als er nach Hause kam. Ich habe auf ihn gewartet, aber er kam erst gegen fünf Uhr morgens und ich bin auf dem Sofa eingeschlafen. Wir haben uns kurz unterhalten, dann ist er wieder abgehauen. Und ich bin zu Bett gegangen.«
»Er ist noch mal weg? Mitten in der Nacht?«
Line musterte ihren Vater. Sie verstand sein großes Interesse für Tommy nicht ganz. Seine Fragen klangen fürsorglich, aber es schien, als verfolgte er damit ein bestimmtes Ziel. Als wären all die Fragen nur dazu da, ein unsichtbares Netz zu spinnen.
Das Teewasser kochte und sie erhob sich.
»Er ist noch mal weggefahren«, bestätigte sie. »Aber das war, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich für ein paar Tage nach Hause fahren würde und dass er seine Sachen packen und sich eine andere Bleibe suchen soll, bevor ich zurückkomme.«
»Glaubst du, er hat eine andere?«, fragte ihr Vater und nahm die Tasse entgegen, die sie ihm reichte.
Line setzte sich wieder. Sie hatte keine Lust gehabt, darüber nachzudenken. Es würde bedeuten, dass er sie hintergangen und betrogen hatte, aber der Gedanke lag trotzdem nahe. Viele seiner Erklärungen, warum er nicht zu Hause oder bei ihr sein konnte, waren etwas zu auffällig.
»Das wird sich zeigen«, sagte sie und zog die Füße unter den Po. »Aber im Moment ist es mir egal. Ich bin nur froh, dass es vorbei ist.«
Sie wollte das Thema wechseln und von dem kleinen Versteck erzählen, das irgendjemand zwischen den steilen Klippen gebaut hatte, aber ihr Vater kam ihr zuvor.
»Muss hier viel gemacht werden?«, fragte er. »Es sah zumindest so aus, als wäre das Holz ein bisschen trocken.«
»Ja, das muss im Sommer wohl gebeizt werden«, antwortete sie. »Ich könnte mir auch vorstellen, den Innenbereich zu streichen. Ihn ein bisschen heller zu machen.«
»Dann kann ich mich um die Arbeiten draußen kümmern und du übernimmst das hier drinnen«, schlug ihr Vater vor.
Sie sprachen noch eine Weile über Dinge, die erledigt werden mussten, und wie schön es im Sommer hier am Meer sein würde. Dann erhob ihr Vater sich und sagte, er müsse nun weiter.
31
Auf dem schlammigen, zertrampelten Platz vor Thomas R ø nningens Hütte war ein großes Feuer entfacht worden. Zwei Tischler im Blaumann warfen jeweils einen Armvoll
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