Winterherzen
die Tatsache, dass dieser Raum ohne Sarahs Einladung tabu für ihn war. Er öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Dann legte er beide Hände auf ihre Schultern.
„Es tut mir leid“, begann er in rauem, gedämpftem Ton. „Es hat mich heute wirklich schwer getroffen, und ich kann nicht … Ich muss heute Nacht allein sein. Es tut mir leid“, wiederholte er und wartete auf ihre Reaktion.
Sie blickte ihn bloß an, ohne jeglichen Ausdruck in den exotischen Augen, die nur wenige Augenblicke zuvor noch gefunkelt hatten. Sie wünschte ihm eine gute Nacht, trat zurück und schloss die Tür, bevor er noch irgendetwas äußern konnte.
Lange Zeit stand er da, starrte auf die Tür, mit hängenden Schultern, bevor er sich abwandte und in sein eigenes Zimmer ging.
Er ging zu Bett, doch er konnte nicht schlafen. Die Jahre mit Diane liefen vor seinem geistigen Auge ab wie ein Film. Er erinnerte sich an jeden Ausdruck auf ihrem lebhaften Gesicht, an all die Pläne, die sie während der Schwangerschaften geschmiedet hatten, an seinen überwältigenden Stolz, als er seine Söhne zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte. Tränen brannten in seinen Augen, aber sie lösten sich nicht.
Der Schmerz über den Verlust seiner Söhne war so groß, dass er versuchte, nie an sie zu denken. Er wurde immer noch nicht damit fertig. Sie waren ein Teil von ihm gewesen. Er hatte sie in Dianes Körper wachsen sehen, hatte ihre Geburt miterlebt, hatte sie als Erster im Arm gehalten. Er erinnerte sich an ihr Lachen, ihre Unschuld, ihre furchtlose Erforschung der Welt. Seine Söhne zu beerdigen war das Schlimmste, was er je erlebt hatte.
Sein Kopf schmerzte plötzlich, und er presste die Fingerspitzen an die Schläfen. Er wollte laut schreien, doch er biss die Zähne zusammen, und allmählich verklang der Kummer. Erschöpft schloss er die Augen und schlief ein.
In ihrem Zimmer lag Sarah im Bett, aber sie schlief nicht. Sie lag sehr still. Sie spürte immer noch die Wirkung des Sektes, aber daswar nicht der Grund für ihre Schlaflosigkeit. Sie war von Kummer erfüllt. Sie hätte wissen müssen, dass die Trauung ihn sehr mitnehmen würde, doch sie hatte es erst an dem Schmerz in seinen Augen gemerkt. Statt die Hochzeit zu feiern, bereute er es, weil sie nicht die Frau war, die er liebte.
War es dumm von ihr zu hoffen, dass sie jemals seine Liebe gewinnen konnte? Hatte er überhaupt noch Liebe zu geben, oder war sie mit Diane gestorben? Sarah wusste es nicht, und sie hatte ihre Entscheidung mit der Einwilligung in die Heirat getroffen. Was immer er ihr geben konnte, musste ihr reichen.
Sarah erwachte früh. Der Wecker verriet ihr, dass es halb sieben war. Sie stand auf und duschte, schlüpfte dann in ihren Bademantel, weil sie keine Lust hatte, sich anzuziehen.
Da sie wusste, dass Rome Frühaufsteher war, ging sie das Frühstück vorbereiten. Obwohl sie die Küche selbst eingeräumt hatte, kannte sie sich darin nicht aus. Zuerst musste sie die Kaffeemaschine suchen, und dann konnte sie den Messlöffel nicht finden. Sie durchsuchte sämtliche Schubladen, knallte sie mit wachsender Wut wieder zu und verwünschte den Messlöffel, der sich versteckte. Schließlich fand sie ihn in der Kaffeedose und verfluchte ihre eigene Dummheit, denn sie selbst hatte ihn dorthin getan.
Sie hasste Umzüge. Sie hasste es, wenn nichts an seinem gewohnten Platz war. Der Kühlschrank stand auf der anderen Seite des Herdes als in ihrer alten Wohnung, und sie wandte sich jedes Mal in die falsche Richtung, wenn sie etwas herausholen wollte. Die Küche war zudem wesentlich größer als ihre alte, und Sarah fühlte sich klein und verloren.
Sobald der Kaffee fertig war, schenkte sie sich eine Tasse ein. Sie nippte daran, schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Ihre Nervosität lag nicht nur an der fremden Umgebung. Daran würde sie sich schon gewöhnen. Aber was war mit Rome? Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Wie verhielt sich eine Frau gegenüber ihrem frischgebackenen Ehemann, der die Hochzeitsnacht allein verbracht hatte?
Vielleicht hätte sie ihn nicht heiraten sollen. Vielleicht war er einfach nicht zu einer dauerhaften Beziehung bereit. Hätte sie ablehnen und auf einen neuen Antrag hoffen sollen, wenn die Zeit seine Wunden geheilt hatte? Aber vielleicht hätte er dann eine andere Frau gefunden und geheiratet. Es war schlimm genug für sie, ihn an Diane verloren zu haben. Sie hätte es nicht ertragen, dass er eine andere, eine völlig
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