Winterherzen
Jahren dagegen wehrte, an ihn zu denken oder von ihm zu träumen. Sie hatte sich sogar in eine andere Abteilung versetzen lassen, um ihn nicht tagtäglich im Büro zu sehen, doch das hatte sich als sinnlos erwiesen. Er war beständig aufgestiegen und einer der Vizepräsidenten geworden. Ihre Position als Sekretärin des Seniorvizepräsidenten brachte sie ständig in Kontakt mit ihm. Zum Glück wahrte er eine rein geschäftsmäßige Haltung ihr gegenüber, und sie zwang sich, ihn ebenfalls so zu behandeln. Was blieb ihr anderes übrig, wenn sie so dumm war, sich in den Mann ihrer besten Freundin zu verlieben?
Obwohl es im Parkhaus einige Grade kälter war als auf der Straße, schlug ihr die Hitze entgegen, als sie zu ihrem Wagen ging, dem neuesten Modell eines Datsun 280-ZX. Das Auto war, wie sie befürchtete, ein Beispiel für ihre zunehmende Neigung, als Ersatz für die innere Leere Dinge zu sammeln. Es war großartig, brachte sie schneller als nötig überall hin, und es war ein Vergnügen, diesen Wagen zu fahren. Aber sie brauchte ihn nicht. Sein Vorgänger war in Ordnung gewesen und gar nicht so alt.
Statt direkt zu dem Haus in dem recht vornehmen Viertel zu fahren, in dem Rome und Diane gewohnt hatten, ging Sarah in ein Restaurant und vertrödelte anderthalb Stunden. Sie stocherte in ihren Meeresfrüchten herum, während ihr Gefühl ihr riet, schnell zu Rome zu fahren. Doch gleichzeitig widerstrebte es ihr irgendwie, das Haus zu betreten, in dem er mit Diane gelebt hatte, in dem sie mit Diane gelacht und mit den Babys gespielt hatte. Sie hatte es seit zwei Jahren nicht mehr betreten. Ja, es waren fast zwei Jahre seit dem Unfall vergangen.
Um acht Uhr beglich sie die Rechnung und fuhr gemächlich,bedächtig zu dem Haus. Ihr Herz pochte erneut heftig, ihr war ein wenig übel, und ihre Handflächen waren feucht.
Romes dunkelblauer Mercedes stand in der Auffahrt. Sie parkte dahinter und stieg aus. Zögernd ging sie zum Haus, stieg die fünf flachen Stufen hinauf und drückte den Klingelknopf. Das Gras war gemäht worden, wie ihr auffiel, und die Hecke gestutzt. Das Haus wirkte nicht leer, aber es war leer. Bedrückend leer.
Nach einer Weile öffnete Rome die Tür und ließ Sarah eintreten. Sein Anblick überwältigte sie. Sie hatte nicht erwartet, dass er einen dreiteiligen Anzug trug, aber sie hatte vergessen, wie kräftig er gebaut war, wie überwältigend er in Freizeitkleidung aussah. Er trug Turnschuhe ohne Socken, eine hautenge Jeans und ein weißes T-Shirt, das seinen muskulösen Oberkörper umspannte, und er sah für sie einfach wundervoll aus.
Erstaunt blickte er an ihrem eleganten Kostüm hinab. „Du warst noch nicht zu Hause?“
„Nein. Ich habe nur unterwegs zu Abend gegessen.“ Es war unangenehm warm im Haus. Er hatte einige Fenster geöffnet, die Klimaanlage war aber nicht eingeschaltet. Sie zog die leichte Leinenjacke aus und wollte sie schon in den Garderobenschrank hängen, wie sie es stets auf Besuch bei Diane getan hatte. Dann hielt sie inne und warf sie einfach über das Treppengeländer.
Während er sie hinaufführte, lockerte sie den Kragen ihrer weißen Seidenbluse und rollte sich die Ärmel bis zu den Ellbogen auf.
Rome blieb vor dem Schlafzimmer stehen, das er mit Diane geteilt hatte. Seine dunklen Augen blickten finster, sein Mund wirkte grimmig, als er die Tür aufschloss. „Die Sachen sind da drinnen im Schrank. Ich bin im Kinderzimmer und packe dort. Lass dir ruhig Zeit.“
Sarah wartete, bis er im anderen Schlafzimmer verschwunden war, bevor sie die Tür öffnete und eintrat. Sie schaltete das Licht ein und blieb stehen. Alles war so belassen, wie es am Tag des Unfalls gewesen war. Das Buch, in dem Diane gelesen hatte, lag auf dem Nachttisch. Ihr Nachthemd lag am Fußende des Bettes. Rome hatte seit ihrem Tod keine Nacht mehr in diesem Raum verbracht.
Sarah holte den Karton aus dem Schrank und setzte sich auf den Fußboden. Tränen verschleierten ihr die Sicht, als sie das erste Foto von sich und Diane herausnahm. Wenn es sie derart schmerzte, eine Freundin zu verlieren, wie musste Rome sich dann erst fühlen? Er hatte seine Frau und zwei Söhne verloren.
Sarah und Diane waren die gesamte Schulzeit über die besten Freundinnen gewesen. Diane hatte wie ein menschlicher Dynamo gewirkt und die stillere Sarah mit sich gerissen. Ihre blauen Augen hatten gefunkelt und ihre honigbraunen Locken gewippt, und sie hatte jeden mit ihrer überschäumenden Lebensfreude angesteckt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher