Winterland
sich fest. Es war Misstrauen, und es sagte mir, dass Elin einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Das Schweigen um sie herum war zu groß. Die Dunkelheit um Elin. Ich war schon mehrere Male auf dem Weg in die Stadt gewesen, um eine groß angelegte Untersuchung zu beginnen. Mir ein Bild von Barbros Verwandtschaft zu machen, um den Onkel zu finden. Alle verfolgen. Elin finden. Darum ging es ja schließlich, Elin zu finden. Meine Elin. Wer hatte ihr etwas Böses angetan?
Ein paar Mal stand ich im Keller und starrte auf den Fußboden. Was lag darunter verborgen?
War ich dabei, verrückt zu werden?
Eines späten Vormittags in der dritten Woche sah ich im Wald in der Nähe des Hauses eine Gestalt. Es war ein Mensch, der ganz still dem Haus zugewandt stand. Ich stand zwanzig Meter entfernt, wieder einmal auf einer Wanderung unterwegs, und die Person hatte mich noch nicht entdeckt. Ich ging näher heran. Er stand immer noch still, den Blick auf das Haus gerichtet. Es war der Hausverwalter. Hier in der passenden Umgebung sah er noch mehr aus wie ein Wacholderbusch. Als ich ihn ansprach, zuckte er zusammen, als würde ich ihn mit den Wurzeln ausziehen.
»Huch«, sagte der Alte.
»Was machen Sie hier?«, fragte ich.
»Ja wollte grade … reingehn«, erwiderte er.
»Warum denn?«
»Der … äh … Sicherungskasten. Da sind ein paar Sicherungen, die man überprüfen muss.«
»Da blinken aber keine Lämpchen oder so«, sagte ich.
»Und nach’m Heizkessel muss man kucken«, sagte er.
»Na, dann gehen wir mal hinein«, erwiderte ich.
Barbro stand in der Küche. Sie musste uns durchs Fenster gesehen haben. Sie trocknete die Hände an einer Schürze ab, die sie zum ersten Mal umgebunden hatte. Ach so. Jetzt spielte sie plötzlich die Hausfrau. Sie sah etwas verloren aus in der Küche, aber ich glaube nicht, dass der Alte das merkte.
»Das ist Barbro«, stellte ich sie vor. »Ihrem Onkel gehört das Haus.«
Der Alte nickte, nahm aber die Hand nicht, die sie ihm entgegenstreckte.
»Guten Tag«, sagte Barbro und trocknete sich wieder die Hände an der Schürze ab.
»Es geht ums Öl«, sagte der Alte.
»Sollten Sie da nicht den Onkel fragen?«, fragte ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd war.
»Was sagst du?«, fragte sie.
»Solltest du nicht fragen, ob wir mal mit dem netten Onkel sprechen können?«, fragte ich wieder, und sie starrte mich an.
»Ich sollte nach’m Öl …«, wiederholte der Alte. Da drehte ich mich um und ging schnell aus dem Zimmer.
Als ich eine halbe Stunde später aus dem Fenster meines Arbeitszimmers schaute, sah ich ihn wieder im Wald verschwinden.
Was dann geschah, geschah schnell. Der Anfang vom Ende kam im Keller, einen Abend, bevor der November in den Dezember hinabsank. Draußen tobte ein Sturm. Ich konnte das Rütteln an den kleinen Fenstern hören, die auf Fußbodenhöhe lagen.
Ich stand mal wieder da unten, betrachtete den Fußboden und dachte darüber nach, wo Elin begraben liegen könnte. Inzwischen glaubte ich fast daran. Vielleicht sogar mehr als nur fast.
Ich begann, an den Wänden zu fühlen. Es gab Sprünge, die schmal und hart waren. Ich fuhr fort, eine Runde durch den großen Heizungskeller, noch eine Runde. Bei der dritten Runde spürte ich die Vertiefung, die unter dem Druck meiner Hand noch weiter zurückwich. Ich drückte etwas fester, und der Putz gab nach. Dahinter war ein Hohlraum, der größer war, als man vermuten konnte. Ich konnte hineinsehen. Ich fuhr mit dem ganzen Arm hinein und zog das Bündel heraus, das dort lag. Es roch nach Staub und trockener Wärme. Und es roch alt. Viele, viele Jahre, dachte ich, als ich die Lumpen auseinander wickelte und das Kleid sah. Es war derselbe Glanz, dasselbe ungewöhnliche Muster auf dem Kragen. Das Einzige, was ich nicht wiedererkannte, war der große schwarze Fleck, der den vorderen Teil von Elins Kleid bedeckte. Ich roch nichts, aber ich wusste, was das war. Mit einem an Panik grenzenden Gefühl schaute ich mich um. Dann sah ich wieder auf den Boden. Sie hatten die Wand wieder zugemauert. Sie mussten einen neuen Fußboden gelegt haben. Da drunter lag sie.
Plötzlich hörte ich Stimmen von oben. Barbros Name. Und ich erkannte die Stimme wieder, die ihn rief.
Sie dachte, ich sei unten im Ort. Das hatte ich ihr gesagt und war dann weggefahren. Das Auto hatte ich aber auf einem kleinen Waldweg stehen lassen, den ich zuvor entdeckt hatte. Er lag auf der anderen Seite der Abzweigung zum Dorf. Dann war ich
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