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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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gemacht haben musste, ein ganz neues Selbstporträt, und ich sah wieder auf das Bild, das das Gesicht war, welches in meinen Armen ruhte, und jetzt wusste ich es, endlich wusste ich, wo Elin war und wer sie war:
    Elin war Barbro und Barbro war Elin.
    Auf ihrem Weg durchs Leben war ihr irgendetwas zugestoßen. Sie war eine andere geworden, und das war geschehen, ehe wir uns begegneten, und dann war es immer schlimmer geworden. Ich sah mich auf dem stillen Dachboden um. Hier war ihr irgendetwas Schreckliches zugestoßen, vor langer Zeit.
    Sie hatte es mir zeigen wollen. Ich hatte nichts verstanden, oder ich hatte es verstanden, aber auf die falsche Weise, in die falsche Richtung.
    Ich hielt sie fest an mich gepresst. Wir waren füreinander geschaffen. Es gab niemanden sonst.

Viareggio
    Tempel. Dieses Wort hatte er im Kopf gehabt, kaum dass er durch die schwere Eichentür geschritten war. Tempel. Das hier ist ein Tempel.
    Die Beleuchtung im Foyer, in dem er jetzt stand, passte dazu. Das Licht floss wie ein gelbes Leichentuch über das Pult, an dem einen sonst der Oberkellner begrüßte. Leichentuch. Noch so ein Wort, das in dieser Nacht wichtig war.
    Er ging durch den Speisesaal, der jetzt von einer verlassenen Eleganz zeugte, ganz anders als bei seinem Besuch früher an diesem Abend. Die Eleganz war immer noch da, aber niemand dachte bei diesem Tempel an Einöde. Ganz im Gegenteil. Er war ein Anziehungspunkt der Geselligkeit. Eine Art Heiligtum für die Sinne. Ja, dachte er, als er langsam durch den prächtigen Raum ging, der unter demselben gelblichen Leichentuch ruhte wie das Foyer: Das hier ist ein Tempel für die Sinne. Dies ist der Ort, wo sich alles vereint. Wird das jemals wieder geschehen? Hier? Wird dieser Raum jemals wieder ein Tempel für die ehrbare Wollust sein?
    Jetzt stand er in der Küche des Restaurants. Sie war groß, so groß, dass man sie nicht überschauen konnte. Es hätte das Innere eines Schiffes sein können. Das Licht war bis auf einen blauen Schimmer heruntergedreht, der all den glänzenden Oberflächen einen bleichen Farbton verlieh, der ihn an Knochen denken ließ. Menschenknochen. Und das erinnerte ihn an einen ganz anderen Saal, dem dieser glich, in dem er jetzt stand, wo der harte Stahl matt auf den Bahren glänzte, die ebenso gut Arbeitsflächen sein konnten, an denen Menschen in weißen Kitteln ihre Arbeit verrichteten, so wie auch in dieser Küche Menschen in weißen Kitteln ihre Arbeit verrichteten. Er hatte den Vergleich immer noch im Kopf, als er ein paar Schritte in die Küche machte. Der Unterschied für ihn bestand nur darin, dass ihm das grausige Schimmern und der Geruch des bleichen Todes in einem Obduktionssaal vertraut waren, während er nur selten mitten in einem Arbeitsraum wie diesem stand, und schon gar nicht um diese Uhrzeit, um drei Uhr morgens, wenn das Toben der Geräusche verstummt war, wenn die zahllosen Gerüche zum letzten Mal in die riesigen Abzugshauben eingesaugt worden waren, wenn alle Köche nach Hause gegangen waren.
    Alle hatten den Tempel verlassen, bis auf einen.
    Deshalb war er hier. Deshalb war er zurückgekommen. Auch hier in der Küche war jetzt der Geruch des bleichen Todes zu verspüren. Er nahm ihn noch nicht wahr, aber er wusste, dass er da war. Im nächsten Moment würde er ihn empfinden.
    Er sah auf die Uhr, die mitten in einem der schimmernden Herde tickte. Sie zeigte eine Minute nach drei.
    Vor genau vier Stunden hatte er auf eben dieser Uhr gesehen, wie die Zeit sich bewegte, langsam, als wolle sie gleich stillstehen. Er hatte genau da gestanden, wo er jetzt stand. In dem Augenblick hatte er gefunden, dass die Zeit ruhig stehen bleiben könnte und das Leben niemals besser werden würde als genau in diesem Moment. Perfekt, hatte er gedacht und den Lärm um sich herum genossen. Alles war perfekt.
    Aber die Zeit war doch fortgeschritten, langsam, aber unerbittlich, durch die Nacht. Und dann war sie für jemanden dort drinnen plötzlich stehen geblieben, und zwar für immer.
     
    Kriminalkommissar Erik Winter hatte gerade die Hälfte seiner Terrine mit Krabben und Doggerscharbe gegessen, als der Küchenmeister an seinem Tisch aufgetaucht war, eine lautlose Bewegung für den groß gewachsenen Mann, der sich ansonsten seinen Weg laut durchs Leben bahnte. Winter hatte soeben die Gabel erhoben.
    »Und?«, hatte der Meister gefragt. »Wie wäre es mit einem kleinen Urteil, ehe du dir das da ins Gesicht schiebst?«
    Winter hatte die Gabel sinken

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