Winterland
durch den Wald zurückgegangen, in dem ich mich inzwischen gut zurechtfand, und war vorsichtig durch den hinteren Eingang in den Keller gestiegen. Ich hatte nicht gewusst, warum ich das tat. Irgendetwas hatte mich dazu getrieben – ich redete mir ein, dass es Elins Geist sei.
Jetzt hörte man die Stimmen deutlicher. Ich stellte mich hinter die verschlossene Türe.
»Wo ist er?«
Es war der Alte.
»Unten im Ort.«
»Da komme ich grade her. Da war er nicht. Die Leute schlagen Alarm, sobald der Verrückte auftaucht.«
Der Alte sprach jetzt klar und kalt und präzise. Kein Dialekt mehr.
»Ich kann das hier nicht mehr.«
Die Stimme von Barbro.
»Nur noch kurze Zeit«, meinte der Alte.
»Er weiß es. Ich weiß, dass er es weiß.«
»Er weiß gar nichts«, sagte der Alte. Dann wurden ihre Stimmen schwächer, woraus ich schloss, dass sie die Küche verließen. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Ich hörte sie im Wohnzimmer sprechen. Aber es war ganz egal, was sie sagten. Ich hatte alles gehört, was ich brauchte. Jetzt reichte es für ein Gespräch mit der Polizei.
Die beiden bewegten sich da drinnen, und ich lief so leise ich konnte die Treppe zum Obergeschoss hoch. Ich hörte, wie sie hinter mir herkamen. Wahrscheinlich hatten sie mich nicht gehört, aber sie waren auf dem Weg nach oben. Ich öffnete die Tür zum Dachboden und ging die Treppe hinauf. Unten wurde die Tür geöffnet. Ich stellte mich in eine dunkle Ecke. Barbro kam die Treppe hoch, ich sah, wie sie über die zweite Treppenstufe kletterte und sich gleichzeitig am Geländer festhielt. Sie wusste es also. Sie war schon einmal hier oben gewesen, obwohl sie das Gegenteil behauptete.
Der Alte kam hinterher. Barbro hielt etwas in der Hand. Sie wandte sich um und sagte:
»Hier oben hat er es gefunden, Onkel Gösta.«
Der Alte nickte und murmelte etwas. Ich hatte schon begriffen, wer er war, und jetzt wurde mir auch klar, wie das alles zusammenhing. Nach der Tat war er geflohen und war in die Rolle des Hausverwalters geschlüpft. Barbro war ebenfalls geflohen. Diese schreckliche Frau war dabei gewesen. Natürlich war sie damals jünger gewesen, aber ebenso schrecklich.
Dann war alles im Dunkel versunken. Der ganze Ort arbeitete zusammen, um Elin mit Dunkelheit zu umgeben. Verdammt, sie waren ja alle miteinander verwandt. Vielleicht war Elin nur zufällig hier zu Besuch gewesen. Das Einzige, was ich nicht verstand, war, warum Barbro mich hierher gelockt hatte, doch ich begriff es sogleich: Es war, um mich zu testen, um zu sehen, ob ich etwas merken würde! Und wenn ich etwas merkte, dann war es sowieso schon zu spät. Sie waren verrückt, total verrückt. Die dachten, dass man ein Verbrechen verbergen …
»Ich sehe dich«, sagte sie.
Ich verließ die dunkle Ecke. Dann sah ich, was Barbro in der Hand hielt. Es war eine Zeichnung. Sie musste Elins Zeichnungen ganz hinten in der Schreibtischschublade in meinem Arbeitszimmer gefunden haben.
»Hör ma’, was stehst du hier und drückst dich rum?«, sagte der Alte.
»Halt die Klappe, Onkel Gösta«, erwiderte ich. »Auf dieses Dorfgerede falle ich nicht länger herein.«
Ich trat näher. Der Alte rückte ab. Ich trat wieder näher. Der Alte rückte weiter zurück. Dann machte er noch einen Schritt zurück und trat in die Leere unter sich. Wild mit den Armen rudernd, fiel er hinab und schlug mit einem grauenhaften Geräusch gegen die Tür. Es klang, als würde ein trockener Wacholderbusch brechen. Ich kann nicht behaupten, dass er mir Leid tat.
»Großer Gott«, sagte Barbro, »was hast du getan?«
»Die Frage ist doch wohl, was du getan hast!«, schrie ich, als ich mich umdrehte. »Was hast du mit Elin gemacht?«
Ich ging auf sie zu, machte einen schnellen Schritt auf sie zu und versuchte, ihr die Zeichnung zu entreißen. Sie hielt dagegen, ich stieß ihr das Knie in den Bauch, sie rang nach Atem und klappte zusammen.
»Ha!«, rief ich, packte die Zeichnung und sah sie an. Ich erstarrte. Ich spürte ihren Schlag gegen meinen Kopf, doch er warf mich nicht um. Ich riss den Arm hoch, um mich zu schützen, schlang ihn um ihren Hals und bog ihren Kopf nach unten. Ich wollte sie nur beruhigen, doch dann bog ich ihr den Kopf zurück, es knackte heftig, wie ein spröder junger Ast, der abbricht, und ihr Körper wurde schlapp und schrecklich schwer.
Ihr Gesicht fiel unter mir zu Boden und wurde plötzlich auf eine eigenartige Weise schmal und durchsichtig, und ich sah die Zeichnung an, die sie kürzlich
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