Winterland
ich auf die Veranda heraustrat. Die schwache Sonne versuchte, die Wolkenschichten zu durchbrechen. Auf den Bäumen war noch etwas Laub, aber das würde wahrscheinlich noch vor dem Mittagessen herunterfallen.
Hinter mir hörte ich ihre Stimme, immer noch schläfrig.
»Wie lange willst du denn noch da stehen?«
Sollte ich ihr das Bild von Elin zeigen? Nein. Dieses Geheimnis wollte ich für mich behalten. Elin war das Sinnbild für Jugend, Licht und Hoffnung. Barbro war der Gegensatz. Ich war der Gegensatz.
»Ich fahre in den Ort zurück«, sagte ich. »Wir brauchen eine Menge Sachen.«
»Es müsste eine Ausgabestelle geben«, sagte sie.
»Ausgabestelle?«
»Jetzt stell dich nicht wieder so blöd an. Ein Ort in der Einöde, wo man Alkohol bestellen kann, wenn es kein Systembolaget gibt.«
»Was willst du haben? Wir haben doch so viel mit, dass es reichen sollte.«
»Wollten wir nicht den ganzen Winter hier bleiben?«, fragte sie, ging hinein und schloss die Tür hinter sich.
Die Straße bis zur Abzweigung war jetzt, da ich sie im Tageslicht sah, gar nicht so schlimm. Der Asphalt auf der größeren Straße war immer noch feucht von der Kälte der Nacht. Jetzt war die Sonne draußen, wurde aber von den Bäumen verborgen. Auf dem Weg zum Ort begegneten mir nur wenige Autos. Wieder ein Holzlaster, vielleicht derselbe, den wir am Abend zuvor schon getroffen hatten. Ein zugedeckter Laster, beladen mit was auch immer. Ein Pick-up mit einem bärtigen Mann mit roter Kappe am Steuer. Und plötzlich ein Traktor, der auf der anderen Seite direkt aus dem Wald auf die Straße bog. Das hier war eine Wildwest-Gegend, kaum zivilisiert.
Der Ort war mehr eine Lichtung im Wald, die Durchfahrt von abblätternden grauen Bruchbuden aus den 50er und 60er Jahren gesäumt – die ebenso gut jetzt und hier hätten sein können. Hier bewegte sich die Zeit nicht.
Der Supermarkt lag neben der Tankstelle. Die Frau an der Kasse starrte mich an, als wäre ich da draußen gerade einem Raumschiff entstiegen. War ich etwa der erste Fremde in diesem Jahrzehnt?
Ich nahm einen der quietschenden Einkaufswagen und packte die Waren ein. Ich war der einzige Kunde. Der Mann hinter der Fleischtheke betrachtete mich mit einem großen Messer in der Hand. Seine Augen waren von einem seltsamen Glanz. Vor ihm lag ein großes Stück Fleisch. Vielleicht war er ein früherer Kunde?
Die Frau an der Kasse war in meinem Alter. Ja, sie hatten eine Ausgabestelle. Zwei Tage würde es dauern. Ich wollte es nur wissen, erklärte ich. Dann holte ich das Bild von Elin raus. »Wissen Sie vielleicht, wer das hier ist?«, fragte ich. Sie schaute das Bild an, als würde ich ihr einen Revolver an die Schläfe drücken und sie zu einer Auskunft zwingen.
»Wer issn das?«, fragte sie und sah mich an.
»Das frage ich Sie«, erwiderte ich.
»Sind Sie so’n Detektiv oder was?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich, »ich bin kein Detektiv. Ich habe ein Stück entfernt von hier ein Haus gemietet und habe dieses Foto auf dem Dachboden gefunden. Ich war einfach neugierig.« Ich lächelte sie an. »Mehr nicht. Ich wollte es nur erfahren, damit die Zeit schneller vergeht.«
Sie sah aus, als wollte sie antworten, dass an diesem Ort die Zeit nie verging, aber stattdessen sagte sie: »Versuchen Sie’s mal auffer Post, ich hab se nie geseh’n.« Sie sah noch einmal das Bild an. »Hübsches Mädel.«
Auf der Post sprach ich mit einer Frau, die die Schwester der Kassiererin aus dem Supermarkt hätte sein können. Vielleicht war sie es ja auch. Vielleicht waren hier ja alle verwandt.
»Hübsches Mädel«, sagte sie.
»Könnte es sein, dass sie hier gewohnt hat?«
»Wer weiß«, antwortete sie.
»Aber Sie erkennen sie nicht wieder, oder?«
»Von wann ist denn das Bild?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Ich habe es auf dem Dachboden gefunden, in dem Haus, das ich gemietet habe.« Ich erklärte, wo das war. Sie schüttelte den Kopf.
»Da wohnt schon viele Jahre keiner mehr.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Viele, viele Jahre.«
»Trotzdem ist das Haus gut erhalten.«
»Da gibt’s ein’n, der sich drum kümmert«, meinte sie.
»Der nach dem Haus schaut?«, fragte ich. Sie nickte wieder.
»Wer denn?«
Der Mann wohnte in einem der grauen Reihenhäuser. Er öffnete sofort, nachdem ich geklingelt hatte. Offenbar hatte die Frau in der Post ihn kurz angerufen. Das begriff ich, als er sagte:
»Es geht um ein Foto, oder?«
Ich zeigte es ihm. Er schien uralt zu
Weitere Kostenlose Bücher