Winterland
schlimmer geworden. Aber wir waren trotzdem hier und jetzt gerade mit den ersten Taschen auf dem Weg durch die Tür.
»Es ist geheizt«, bemerkte ich.
»Das kann er sich leisten, der Alte.«
Ich ging ein paar Mal zwischen Auto und Haus hin und her und trug alles Gepäck herein. Das meiste schleppte ich in den ersten Stock hinauf, wo das Schlafzimmer lag. Ich kontrollierte auch das Badezimmer und das Arbeitszimmer. In der besten aller Welten hätte Barbro in der Zwischenzeit schon den Herd und den Ofen zum Leben erweckt und mit dem Zubereiten des Abendessens begonnen, das wir seit Stunden nötig hatten.
Aber als ich runterkam, saß sie im Wohnzimmer, den Mantel immer noch an und die Pralinenschachtel auf dem Schoß. Ihr Gesicht glänzte im Licht der alten Deckenlampe. Es sah geschwollen aus, und das war es auch. Ich schätze, dass sie im vergangenen Jahr so um die zehn Kilo zugelegt hatte, vielleicht sogar mehr. Sie behauptete, sie habe abgenommen. Schokolade, Alkohol, und oft auch Schokolade mit Alkohol. Junkfood vor dem Fernseher, Stunde um Stunde um Stunde.
Was hatte ich bloß in ihr gesehen? Was hatte sie in mir gesehen? Um wenigstens etwas gerecht zu sein. Vielleicht war ich nicht gerade Mister Universum, aber ich gab mir doch Mühe.
»Sollten wir nicht mal was essen?«, fragte ich.
»Da steht ein Holzofen«, sagte sie und machte eine lahme Geste zum Herd, der schwarz und kalt war. Es lag kein Brennholz daneben.
»Sollen wir darauf kochen?«, fragte ich.
»Ich habe nur gesagt, dass es einen Holzofen gibt«, sagte sie.
Ich machte einen Schritt nach vorn, blieb dann aber stehen. Nein. Das war es nicht wert. Nicht jetzt, niemals. Aber als ich mich umdrehte und aus der Küche ging, wusste ich, dass dies der letzte Herbst für uns war. Ich dachte daran, dass wir wohl nicht füreinander geschaffen waren. Diesmal lächelte ich nicht.
Am nächsten Morgen schien die Sonne, ein scharfes und helles Licht, wie es zum Spätherbst gehört. Barbro schlief noch, als ich aufstand.
Mitten im Flur gab es eine Tür, ich öffnete sie und sah die Treppe zum Dachboden hinauf.
Die zweite Treppenstufe von oben gab leicht nach, als ich darauf trat. Ich musste mit Hilfe des Geländers balancieren.
Dort oben schien die Sonne durch zwei Dachfenster hinein. Im Lichtstrahl tanzte der Staub. Es roch nach vergangenen Zeiten. Der Dachboden war leer, abgesehen von ein paar Möbeln in der hinteren Ecke. Ich ging dorthin. Etwas abseits stand eine Kommode. Ich zog alle Schubladen heraus, sie waren leer. Vielleicht war ich neugierig, ob dieser Dachboden irgendwelche Erinnerungen von früher bewahrte. Hinter der Kommode stand ein Schreibtisch. Ich zog die Schreibtischschublade heraus. Es lagen einige Papiere darin. Ich holte sie heraus. Es waren zwei Tuschezeichnungen, die ich zum Licht des Dachfensters trug. Zwei Porträts, von derselben Hand gezeichnet, die eine junge Frau oder ein Mädchen darstellten. Es war beide Male dasselbe Gesicht. Das Mädchen war schön, und der Künstler war fraglos geschickt. Auf dem einen Bild schloss das Mädchen die Augen – das war der einzige Unterschied zwischen den Bildern, den ich feststellen konnte.
Ich ging zum Schreibtisch zurück, zog die ganze Schublade heraus und legte sie auf den Tisch.
In der hintersten Ecke war ein sprödes braunes Kuvert eingeklemmt. Ich öffnete es und nahm eine Fotografie heraus. Es handelte sich um dasselbe Mädchen wie auf den Zeichnungen, und die Geschicklichkeit des Künstlers imponierte mir jetzt noch mehr. Die Zeichnungen waren dem Porträt wirklich ähnlich. Das dunkle Haar, die hohe Stirn, die schönen Augen. Die kleinen, feinen Züge, die Durchsichtigkeit um das Kinn herum, aber auch die vollen Lippen. Ein schwaches Lächeln, das an Mona Lisa erinnerte. Ich musste selbst über dieses rätselhafte Lächeln schmunzeln.
Ich drehte die Fotografie um und sah den Namen, der mit einem Stift, der dem Tuschepinsel der Zeichnungen gleich zu sein schien, auf die Rückseite geschrieben war: Elin.
Ich steckte das Foto in die Innentasche meines Jacketts. Wer war Elin? Warum lag ihr Jugendbild auf einem dunklen Dachboden in einem alten dunklen Haus mitten in einem alten dunklen Wald? Wer war sie? Wo war sie jetzt?
Als ich wieder die Treppe hinunterstieg, dachte ich daran, dass ich es rauskriegen wollte. Ich dachte aber nicht daran, auf die zweite Stufe zu achten, und verlor beinahe das Gleichgewicht.
Barbro rief aus dem Schlafzimmer, aber ich antwortete nicht, als
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