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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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sein, aber gleichzeitig drahtig und stark, wie die Wacholderbüsche, die ich von der Straße aus gesehen hatte. Sein Gesicht war wie aus Pergament, als er das Foto betrachtete.
    »Vielleicht war se hier«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Hübsches Mädel«, sagte er.
    »Sie sind ihr also schon mal begegnet?«
    »Vielleicht«, erwiderte er.
    »Wann denn?«
    »Vor vielen, vielen Jahren.«
    »Wer ist sie?«
    Er schüttelte den Kopf, das war seine Antwort. Ich stellte noch mehr Fragen, aber er sagte nur, dass er sie wohl »vor vielen, vielen Jahren« gesehen hätte.
    »Sie kümmern sich um das Haus?«
    Er nickte, ohne zu fragen, welches Haus ich meinte.
    »Wann hat dort das letzte Mal jemand gewohnt?«
    »Das is viele, viele Jahre her.«
    »Wie lange her?«
    Er sah wieder das Bild von Elin an.
    »Seit Sie dieses Mädchen gesehen haben?«, fragte ich.
    »Seit da einer gewohnt hat«, sagte er nach einer Weile.
    »Für wen versorgen Sie denn das Haus? Es scheint doch nicht Ihres zu sein.«
    Er antwortete nicht.
    »Es bittet Sie doch jemand, sich darum zu kümmern. Es ist sehr gut unterhalten, dafür dass es so lange leer gestanden hat.«
    »Man tut, was man kann«, sagte er.
    Aber sein Blick war jetzt woanders. Der Besuch war beendet.
     
    Barbro sah vom Sessel auf. Ich trug die Tüten in die Küche, verstaute die Waren in Kühlschrank und Speisekammer und dachte darüber nach, dass es doch gelinde gesagt seltsam war, ein leeres Haus jahrzehntelang zu versorgen.
    »Wo wohnt dein Onkel?«, fragte ich, als ich ins Wohnzimmer kam. Barbro sah auf. Ihr Haaransatz war von Schweiß verklebt. Sie schien bereits leicht betrunken zu sein. Auf dem Tisch stand eine Flasche Gin, aber sie behauptete, es sei Mineralwasser. Sie hatte schon begonnen, den Tag etwas aufzupeppen.
    »Wieso?«
    »Ich bin einfach neugierig. Warum lässt er das Haus erhalten, wenn hier doch seit Ewigkeiten niemand gewohnt hat?«
    »Wir wohnen doch jetzt hier«, sagte sie.
    »Sollte es also die ganze Zeit nur unsretwegen gewesen sein?«, fragte ich und lachte.
    Sie sah mich an ohne zu antworten. In ihren Augen war ein Ausdruck, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Dann war er plötzlich fort.
    »Weißt du, wo er wohnt?«, fragte ich.
    »Nein«, erwiderte sie. »Kann man jetzt vielleicht mal was zu essen kriegen? Oder hast du das vergessen, als du draußen herumgefahren bist?«
    »Was hast du denn gemacht, während ich weg war?«, fragte ich und sah zu der Flasche auf dem Tisch.
    »Versucht, in dieser Bruchbude was zu finden.«
     
    Tage vergingen. Ich versuchte, in dem Zimmer im ersten Stock zu schreiben, aber es kam nichts Gutes aus meinem Kopf und auf das Papier. Manchmal sah ich das Foto und die Zeichnungen von Elin an. Ich phantasierte über sie. Sie war ein Wesen, weich und fein. Sie war ein guter Mensch. Ich stellte mir vor, dass sie ihre Porträts selbst gezeichnet hatte. Sie war begabt. Sie war … mein. Sie war all das, was Barbro nicht war. Ich betrachtete das Kleid, das sie trug, oder zumindest das, was man auf dem Foto davon sehen konnte. Auf dem Kragen war ein auffälliges Muster, wie zwei Lilien, die sich unter ihrem Kinn trafen. Das Muster war auch auf den Zeichnungen.
    Ich fuhr noch ein paar Mal in den Ort und fragte die wenigen Menschen, denen ich begegnete, ob sie ihr Gesicht wiedererkannten. Mein Verhalten hatte etwas Verzweifeltes, und ich sah, dass sie es bemerkten. Ich musste das große Gesprächsthema im Ort sein. Vielleicht sogar das einzige. Und so wollte ich es haben. Am Ende würde sich irgendjemand verplappern.
    Ich unternahm lange Spaziergänge durch den Wald, der immer schwärzer und nasser wurde. Eines Morgens lag eine dünne Lage Schnee auf dem Boden. Er verschwand im Laufe des Vormittags, aber der Anblick machte mich doch noch finsterer. Er ließ mich glauben, dass wir »viele, viele Jahre« hier bleiben würden.
    Barbro verließ das Wohnzimmer nur selten. Wenn ich etwas sagte, keifte sie mich an. Wir waren wie zwei Menschen auf einer einsamen Insel, die aufeinander angewiesen waren.
    Sie ging niemals in den Keller hinunter. Sie fand nicht den Weg zum Dachboden. Ich würde nie auf die Idee kommen dorthin zu gehen, sagte sie. Sie verließ niemals das Haus, ging nicht raus.
    Ich erzählte nichts von Elin. Sie hätte mich sowieso nur mit blutunterlaufenen Augen angeschaut und den Kopf geschüttelt.
    Ich ging immer öfter hinaus in den Herbst. Fuhr auf den kleinen Sträßchen herum.
    Irgendetwas wurde in meinem Kopf geboren und setzte

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