Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
lasten. Jemand legt mir zwei Tabletten auf die Zunge und gibt mir zu trinken. Das Schlucken verlangt Kraft, doch der Aufwand lohnt sich. Fasziniert liege ich auf dem Rücken und spüre, wie die Medikamente Stück für Stück ihre Wirkung tun. Die Chemie arbeitet in mir, nimmt mir die Schmerzen, senkt das Fieber und lässt mich endgültig einschlafen.
Eine warme Brise streicht mir über die Wange. Heißer Sand küsst meine Fußsohlen, während ich das Meer rauschen höre. Ich bin im Urlaub auf Gran Canaria. Ich weiß nicht, warum Schnee liegt oder warum ich ein Glas Spargel in der Hand halte, aber die Sonne auf meinem Gesicht ist ein Segen nach all den Strapazen.
Bei mir sind Menschen, die ich seit langer Zeit nicht gesehen habe. Wir essen den berühmten Eintopf meiner Großmutter am Strand, der plötzlich an den Bauerhof meines längst verstorbenen Onkels angrenzt. Klar, von Gran Canaria ins Rheinland ist es bekanntlich nur ein Katzensprung.
Ich halte einen monströsen Schokoladen-weihnachtsmann in Händen. Ich bin verzweifelt, weil sich das Papier nicht lösen lässt. Dabei habe ich Heißhunger auf Schokolade.
Allerdings nur solange, bis ich im Laden stehe und mit der klemmenden Kassenschublade kämpfe. Dabei vergeht mir der Appetit, denn die Tageseinnahmen hängen fest und die Bank schließt in wenigen Minuten.
Die einzige Konstante meiner wirren Träume ist die Sonne, die mich berührt. Sie ist stofflich, behutsam, kühl, und sie weckt mich in den frühen Morgenstunden. Die roten Ziffern der Digitalanzeige nähern sich der sechsten Stunde. Habe ich wirklich den ganzen Nachmittag und den Großteil der Nacht verschlafen?
Unwirkliches geht vor sich. Dirk lehnt über mir. Er ist die Sonne. Seine Hand liegt auf meiner Wange, seine Finger berühren sacht meine Schläfe. Ich spüre sie zucken, als sich unsere Blicke kreuzen. Verlegen will Dirk sich zurückziehen. Ich kann seine drohende Entschuldigung über mir schweben spüren wie ein Echo aus der Zukunft. Ich will nicht, dass er sich entschuldigt.
Deutlich steht mir vor Augen, was geschehen ist. Dass er Kontakt gesucht hat, als er sich sicher fühlte. Dass er mich berühren wollte.
In meinem schläfrigen Zustand weiß ich mit kristallklarer Gewissheit, dass sein Verhalten etwas zu bedeuten hat. Der Gedanke, dass er lediglich meine Temperatur fühlen oder mir etwas aus dem Gesicht streichen wollte, kommt mir nicht.
Es gibt Momente im Leben, in denen sich die Puzzleteile des Schicksals so nahtlos ineinanderfügen, dass keine Fragen offenbleiben. Keine Unsicherheiten, keine Reue. Dies ist einer dieser kostbaren Augenblicke.
Bevor er reagieren kann, nestele ich meine heiße Hand aus den Decken und presse sie auf seine kühlen Finger. Er soll sich nicht zurückziehen. Er soll bleiben, näherkommen. Ich muss fühlen, dass er da ist.
Alles, was im Alltag dicht unter der Oberfläche, aber gut verborgen in meinem Selbst ruht, kommt mit dem Fieber zum Vorschein. Die Faszination, die Neugier, die Sehnsucht, die Zuneigung, der Wunsch, in jedem Sinne an ihn heranzukommen. Haut und Atem, Geist und Herz, Zukunft und Vergangenheit.
Ich greife behutsam in die Freiräume zwischen Dirks Fingern. Mir wird heiß, als er mich nach kurzem Zögern gewähren lässt und unsere Hände sich umeinander schließen. Er neigt sich mir entgegen; meinem Dasein als Bakterienmutterschiff zum Trotz.
Es sollte ein Hindernis sein, dass ich verschwitzt bin und meine Nase zu ist. Oder dass mir bestimmt die Haare zu Berge stehen. Doch Dirk schert sich nicht darum, als er sich meinem Mund nähert. Ich bin nicht sicher, ob sein Atem auf meiner Haut Teil meiner Träume ist oder nicht.
Wie wach ich bin, merke ich, als der Hustenreiz durch meinen Hals kriecht und sich beim besten Willen nicht unterdrücken lässt. Ich will aushalten. Ich will diese Nähe, ich will Dirk. Ich darf diesen Augenblick nicht vergeuden. Er ist zu wertvoll.
Es gelingt mir nicht, meine Lungen zu beruhigen. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren, muss ich den Kopf beiseite drehen, wenn ich ihm nicht ins Gesicht husten will.
Ich verfluche das Schicksal, glaube den Riss in der Realität verloren, der uns zueinander geführt hat. Gleich endet der Zauber, und wir sind nicht mehr als zwei Bekannte, die es aus einem verrückten, übermüdeten Impuls heraus für eine gute Idee hielten, sich zu küssen.
Dirk greift über mich hinweg und setzt mir eine Tasse an die Lippen. Mit Honig gesüßter Tee rinnt in meinen Mund. Die Minze
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