Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
er den Mund hält. Ich kann mich ausruhen, muss ihn nicht unterhalten. Er erwartet nichts von mir.
Die vertrauten Fassaden meiner Stadt huschen an mir vorbei. Selbst schäbige Häuser sehen im Winter gemütlich aus. Aus den Fenstern strahlen mir geschmückte Weihnachtsbäume entgegen. Nicht mehr lange, und die Kinder dürfen ihre Geschenke auspacken.
Ein Hauch Melancholie streift mich, als ich daran denke, dass ich dieses Jahr einmal mehr allein sein werde. Ich mache mir nichts vor, ich wäre heute dem familiären Weihnachtschaos meiner Mutter nicht gewachsen. Schade ist es dennoch. Man wünscht sich halt immer das, was man nicht haben kann.
Das sanfte Summen des Volvos hüllt mich ein. Es legt sich auf meine Sinne und kriecht durch meine Knochen. Es flüstert mir ins Ohr, dass ich mich ausruhen kann. Mit der Entspannung kommt der Halbschlaf, mit dem Halbschlaf das Fallbeil der Grippe. Es kracht mir auf den Kopf und schleudert mich in einen Zustand vollkommener Kraftlosigkeit.
Vielleicht bin ich hysterisch, aber als Dirk vor meinem Haus hält, bin ich versucht, ihn zu bitten, mich ins Krankenhaus zu bringen. Mir geht es plötzlich dermaßen dreckig, dass ich mich erschrecke. Es liegt daran, dass ich eingeschlafen bin. Der Körper ist empört, dass er sich noch einmal regen soll. Trotzdem, es ist beängstigend.
„Leif?“
Dirk klingt besorgt. Das macht nicht gerade Mut. Mir dämmert, dass meine Augen geschlossen sind. Ich möchte sie öffnen, aber jede Bewegung ist schrecklich anstrengend. Denken kann ich gar nicht mehr.
Ich trete von mir selbst zurück. Es ist ein Fremder, dem Dirk die Hand auf den Arm legt. Ein Fremder, den er betrachtet. Ein Fremder, dem er den Gurt löst und schließlich aus dem Wagen bugsiert. Es ist nicht meine Jackentasche, in der nach dem Schlüssel gewühlt wird. Es ist nicht meine Stimme, die etwas vom vierten Stock lallt. Es ist leider nicht meine Seite, um die sich Dirks Arm schlingt.
Ich verliere nicht das Bewusstsein. Nur, damit kein falscher Eindruck entsteht. Dirk muss mich nicht tragen und ich nicht in die Rolle der ohnmächtigen Maid schlüpfen. Für beides bin ich dankbar. Ich hätte ihm nie wieder in die Augen sehen können.
Von dem Weg in meine Wohnung bekomme ich wenig mit. Ich spüre die Stufen, sehe die Regenbogenaufkleber an der Tür von Martin und Mohammed und höre, dass sich die Geißlers für ihren Weihnachtsstreit warmmachen. Alles, was darüber hinausgeht, entgleitet mir. Ich muss mich darauf konzentrieren, die Stufen zu überwinden. Eine nach der anderen.
Auf einmal umgeben mich vertraute Wände, Gerüche, das Knarren der Dielen unter dem Laminat. Zuhause. Ich bin so dankbar. Dirk dankbar. Dem Universum dankbar.
Schnurstracks steuere ich auf mein Schlafzimmer zu. Es ist warm und gemütlich. Ich habe heute Morgen extra die Heizung angelassen. Ich sehe meine Kissen und will sie spüren; mehr als jeden Mann, den ich je begehrt habe. Gut, die ein oder andere Ausnahme gibt es vielleicht.
Ich schaffe es, meinen Mantel auf den Boden gleiten zu lassen und mir den Pullover über den Kopf zu ziehen. Meine Füße und damit meine Schuhe sind zu weit weg, um mich darum zu kümmern. Ich falle und die Matratze nimmt mich in die Arme.
„Danke. Hol dir doch ein Bier“, höre ich mich murmeln. Schere mich nicht um meine Hose. Verzichte auf Schmerztabletten. Habe keine Zeit, mich zu fragen, warum ich Dirk Bier anbiete, das ich nicht im Haus habe. Dann streichelt sich die Dunkelheit an mich heran und ich lasse sie kommen.
Im Erwachen überfällt mich der hysterische Impuls, den Wecker zu suchen. Viel zu langsam rieselt die Erkenntnis in mein Gehirn, dass ich nicht aufstehen muss. Der Nachgeschmack der Erleichterung ist süß. Die Bettdecke kitzelt meine Nasenspitze, ein Gewicht auf meinen Füßen lässt vermuten, dass dort meine Wolldecke liegt. Meine nackten Zehen krümmen und drehen sich behaglich.
Es ist erstaunlich, wie viel ein paar Stunden Schlaf ausmachen können. Mir ist nach wie vor fiebrig zumute und meine Nase fühlt sich an, als wäre sie glutrot, aber allein die Gewissheit, dass ich meine Ruhe habe, ist heilsamer als eine Packung Schmerztabletten.
Ich vergrabe den Kopf in meiner Armbeuge und will mich in den Schlaf zurücksinken lassen, als mir der Gedanke kommt, dass irgendetwas nicht ist, wie es sein sollte. Verschlafen muss ich erst ein weiteres Mal meine Füße aneinanderreiben, bis mir bewusst wird, dass ich mir zuvor nicht die Schuhe ausgezogen habe.
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