Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
du mir gestehst, dass du dich wegen mir von Ingo getrennt hast?“
„Nein, er hat mich verlassen“, kommt es so schnell zurück, dass ich mich an einen Pfeil erinnert fühle, der sich einen Weg in meine Brust bahnt. Ingo hat die Beziehung beendet. Nicht Dirk. Es war nicht sein Wunsch und nicht seine Entscheidung. Wenn die Erkenntnis mir nicht quer im Hals stecken würde, wäre ich erstaunt, wie enttäuscht ich bin.
Ich suche nach einer Antwort und kämpfe um die Kontrolle über meine Gesichtszüge, als Dirk unerwartet den Kopf senkt und seine Stirn an meine legt. Sein Griff um meinen Nacken wird fester. Willenlos legen sich meine Hände auf seine Seiten. Ich weiß nicht, ob ich ihn an mich heranziehen oder wegschieben will.
Dirk atmet viel zu flach. Seine belegte Stimme kratzt über meine Nerven, als er raunt: „Ich kenne mich nicht so gut aus wie du. Aber ich schätze, dies ist die Stelle in der Geschichte, an der ich eingestehen muss, dass Ingos Bedenken begründeter waren als ich mir eingestehen wollte. Und die Stelle, an der ich verdammt froh bin, dass ich im verschneiten, schweinekalten Deutschland mit dir unter der Dusche stehe, statt mit Ingo in Pala u am Strand zu liegen.“
Ich weiß nichts zu erwidern. Ich könnte nicht einmal, wenn ich wüsste, was ich sagen soll. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich vergesse zu atmen. Das klingt viel zu gut, um wahr zu sein.
„Shit, da habe ich mich all die Jahre mit ihm gestritten, weil er mir unterstellt hat, dass ich dich will und jetzt ...“ Er sieht mich an, als könne er selbst nicht fassen, was mit ihm vor sich geht. Mit uns.
„Ich wollte dich wirklich nur nach Hause bringen ... dachte ich ... nur, als wir allein waren, da habe ich ...“ Dirk unterbricht sich leise lachend und küsst flüchtig meinen Wangenknochen: „Ich rede mich um Kopf und Kragen, oder? Sagen wir einfach: Ingo lag richtig, fürchte ich.“
Guter Ingo, braver Ingo, kluger Ingo. Ich werde ihm eine Dankeschön-Karte schicken.
„Das heißt, du bereust es nicht, dass du Weihnachten damit vergeudet hast, über einen schniefenden Fremden zu wachen?“, poltert es mir über meine plötzlich gelöste Zunge. Es ist leicht, eine solche Frage zu stellen, wenn man sich der Antwort sicher sein kann.
Dirks Mund ist ernst, aber seine Augen lächeln: „Du bist kein Fremder. Und was das Schniefen angeht, kannst du mich ja entschädigen. Oder?“ Das letzte Wort schleicht sich zögerlich an mich heran, als fürchte er ernsthaft, dass ich ihm seinen Wunsch abschlagen könnte. Nie ist er mir so fragil vorgekommen wie in diesem Augenblick der Wahrheit. So durcheinander und hilflos.
„Was hast du dir denn vorgestellt?“
„Ich weiß nicht“, zuckt Dirk unbehaglich die Achseln, bevor er sich ein Herz nimmt und vorsichtig fragt: „Hast du Pläne für die restlichen Feiertage?“
Oh ja, habe ich. Gesund werden. Viel schlafen. Essen. Fernsehen. Lesen. Dirks Körper und Seele kennenlernen. Ihn an meiner Seite haben und vergessen lassen.
Ich nicke ernsthaft: „Ich habe Besuch, wenn ich mich nicht täusche. Sehr willkommenen Besuch. Lang erwarteten, wenn ich ehrlich bin.“
Die in meinen Worten verborgene Botschaft erreicht ihn. Dirks Anspannung löst sich. Ich kann dabei zusehen, wie sich seine Schultern lockern und die Unsicherheit mit sich nehmen. Mir geht es nicht anders.
„Gut zu wissen“, raunt er mir kehlig ins Ohr und sucht nach meinen Fingern, lehnt sich vertrauensvoll an mich. „Danke. Für das Asyl. Und ... und fürs Warten.“
Es gibt keine Versprechungen und keine Schwüre, keine Liebeserklärungen und keinen gemeinsamen Bausparvertrag. Dirk gibt mir alles, was er gerade entbehren kann. Egal, wie es um seine Gefühle zu Ingo bestellt war und ist, ist er verlassen worden. Was behaglich und vertraut war, ist ihm abhandengekommen. Er darf darum trauern und er darf sich Zeit lassen. Mit mir und allem, was „uns“ werden könnte.
Hand aufs Herz, ich kann ihm selbst nicht mehr anbieten als er mir. Ich weiß nicht viel über Beziehungen, aber ich glaube, dass sie wachsen müssen und nicht von heute auf Morgen aus dem Boden gestampft werden. Man muss ihnen Zeit geben, Wurzeln zu treiben. Was mich angeht, spüre ich die Saat bereits aufgehen.
Dirks Husky-Augen sind offen und sehnsüchtig, als er mich ansieht. Ich kann nicht anders. Während ihm der Schaum von der Brust rinnt, ziehe ich ihn an mich. Wir tun uns gegenseitig weh, als wir uns umarmen und aneinander klammern. Sein
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