Wintermädchen
und greift sich im Vorbeigehen einen Bügel aus dem Schrank. »Charlie ist zu seiner Schwester nach Rhode Island gefahren, bevor der Sturm losbrach. Ich muss nur noch alles abschließen, wie ein Bekloppter Schnee schippen, und dann geht es nach Süden.«
Ich brauche eine Minute, um Atem zu schöpfen, und sehe mich dabei im Zimmer um. Buchseiten und Klebeband sind sorgfältig von den Wänden geschält. Die Kleidung aus dem Schrank und aus den Schubladen ist in schwarzen Mülltüten verstaut, die neben der Tür stehen. Der Stapel mit den Spiralblöcken steckt in einer zerschrammten Holzkiste.
»Nimm mich mit.« Ich zittere. »Ich hab gerade mein Konto leergeräumt. Ich hab den Lohn von einem ganzen Leben als Babysitter dabei, bar. Ich kann fürs Benzin bezahlen und dich beim Fahren ablösen.«
»Weiß nicht«, erwidert er. »Ich bin es gewohnt, allein zu reisen.«
Er sagt noch mehr, aber meine Ohren versagen ihren Dienst. Schwarze Punkte drohen mich zu Boden zu ringen. Ich darf nicht ohnmächtig werden. Das hier ist meine einzige Chance.
»Ich glaube, du hast mich nicht verstanden«, sage ich. »Ich hab fast tausend Dollar dabei und dazu eine Kreditkarte, die wir benutzen können, bis mein Vater sie sperren lässt. Du wills t …«
::Schwindel/Schwerkraft/Fußboden/Dunkelheit/::
058.00
Ich wache in seinem Bett auf. Komplett angezogen. Unter den Decken sind meine Füße auf Kissen so hoch gelagert, dass ich nicht an ihnen vorbeigucken kann.
Elijah beugt sich über mich. »Alles okay? Was zum Teufel ist passiert?«
Ich fühle eine Beule auf meiner Stirn. »Ich muss ohnmächtig geworden sein. Du hast doch nicht den Krankenwagen gerufen, oder?«
»Hätte ich sollen?«
»Nein.« Ich setze mich mühsam auf.
»Bist du krank?«
»Ein bisschen.« Die schwarzen Punkte tanzen wieder vor meinen Augen. Ich lege mich zurück. »Ich musste für ein paar Tage ins Krankenhaus, weil ich dehydriert war. Bin immer noch ein bisschen wackelig, aber das ist echt keine große Sache.«
Er macht große Augen. »Machst du Witze? Es ist eine Riesensache. Du kannst nicht mitkommen. Du kannst auch nicht hierbleiben. Wenn ich am Ende wieder mit einem toten Mädchen dasitze, wird es den Bullen egal sein, dass ich ein Videoalibi habe. Du musst weg hier.«
»Ich kann nicht nach Hause.«
»Ist mir egal, wo du hingehst, bei mir bleiben kannst du auf gar keinen Fall.«
Ich zeige aus dem Fenster. »Siehst du den Sturm? Die Polizei hat nicht genug Leute für all die Unfälle. Die Hälfte aller Straßen ist wegen Auffahrunfällen gesperrt. Ich bin achtzehn, ich bin nüchtern, ich habe keinen laufenden Haftbefehl. Sie werden bestimmt nicht herkommen, um nach dem Rechten zu sehen, das kannst du mir glauben.«
»Vielleicht die nicht, aber deine Eltern.«
»Sie wissen nicht, dass ich schon mal hier war. Ich habe ihnen nicht erzählt, wo du arbeitest oder woher ich dich kenne.«
Er greift nach dem Kartenspiel auf dem Fernseher und lässt eine Karte nach der anderen auf den Stapel zurückfallen. Ein paar rutschen weg und landen auf dem Fußboden. »Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache.«
Er wird mich rauswerfen und ich werde sie anrufen müssen, und dann werden sie ewig so tun, als hätten sie sich Sorgen gemacht, damit ich in ihr Auto steige und sie mich in eine Nervenklinik fahren können, wo die Fenster überstrichen sind und ich nie weiß, ob es Tag oder Nacht ist, und dort werden sie mich lassen, bis ich meinen Namen vergessen habe, weil danach nichts mehr eine Rolle spielen wird.
Wieder läuft mir der Regen vom Gesicht herunter. »Bitte.«
»Nein, nicht. Nicht weinen. Hör auf. Ich hasse es, wenn Mädchen weinen.« Er geht ins Bad und kommt mit einer Rolle Klopapier zurück. »Hier.«
Ich reiße ein Stück ab, wische mir die Augen und putze die Nase, aber die Tränen laufen immer noch.
»Was ist passiert?« Er kniet sich neben das Bett, damit wir auf Augenhöhe sind. »Was zum Teufel ist nur los?«
»Ich habe Mist gebaut«, flüstere ich. »Großen. Richtig großen.«
»Bist du schwanger? Rauchst du Crack? Hast du eine Bank überfallen? Jemanden erschossen?«
»Ich zeig’s dir.«
Ich setze mich langsam wieder auf und ziehe mein Sweatshirt aus, dann den Rollkragenpullover, dann das lange Unterhemd. Als ich die letzte Stoffschicht in Angriff nehme, hebt er abwehrend beide Hände.
»Nein. Hör auf. Das lassen wir lieber. Mir reicht es jetzt schon. Völlig. Moment mal, ist das Blut?«
Ich ziehe mein Hemd aus und zucke dabei
Weitere Kostenlose Bücher