Wintermaerchen
hervorziehen, für das die Gang berüchtigt war, und den Goldfrachter kapern.
»Na und?«, wandte jemand ein. »Die Begleitschiffe von der Kriegsmarine würden uns sofort auf die Pelle rücken!«
»Kein Geleitschutz ist so schwer bewaffnet und so schnell wie ein Goldfrachter«, erwiderte Pearly.
»Aber das hilft uns auch nicht weiter, Pearly. Du bekommst das Gold nicht aus dem Schiff heraus ohne die speziellen Apparaturen, höchstens in einem großen Trockendock.«
»Dann bauen wir uns eben ein Trockendock!«
»Das ist der Gipfel!«, schrie ein Woola-Boy. »Selbst wenn es möglich wäre, würde es jedem auffallen! Die bräuchten uns nur zu folgen, wenn wir mit dem Schiff Kurs auf das Dock nehmen.«
»Du zeigst wieder einmal, wozu ein Woola-Boy taugt«, fertigte Pearly den vorlauten Burschen ab. »Bleib du bei deinem Woola-Woola, bis ich dir eine neue Aufgabe zuteile, du Grünschnabel! Wir bauen das Dock natürlich erst, wenn wir das Schiff haben. Dann haben wir Zeit, so viel wir wollen. Wir können in aller Ruhe ein Loch in das Schiff bohren – nur ein einziges, das sollten wir doch schaffen! – und ein Riesenfeuer unter den Laderäumen machen, damit das Gold schmilzt und wie flüssige Lava in unsere feuerfesten Tiegel läuft. Wenn ich sage, dass wir Zeit in Hülle und Fülle haben werden, dann meine ich damit, dass wir mit dem Goldschiff schnurgerade zu den Sümpfen von Bayonne fahren und mitten durch den weißen Wolkenwall brechen werden.«
Bei diesen Worten überlief es Pearlys Männer eiskalt. Niemand sagte ein Wort. Schließlich brach ein schafsköpfiger Taschendieb das Schweigen.
»Wer durch diese Wolken fährt, kommt nie zurück, das weißt du genau, Pearly. Es ist genauso wie Sterben.«
»Wie soll man das wissen?«, antwortete Pearly. »Ich hab’ noch nie einen getroffen, der drüben war. Vielleicht kommen alle zurück und halten nur aus irgendeinem Grund die Klappe. Möglicherweise ist es ganz toll auf der anderen Seite – jede Menge nackter Weiber, reife Früchte an den Bäumen, barbusige Hula-Hula-Tänzerinnen, Fressen und Saufen nach Belieben, Autos, Lotterielose, die immer gewinnen, und so weiter. Außerdem: Wer sagt denn, dass wir da nicht wieder rauskommen? Wenn wir es schaffen, sind wir die reichsten Männer der Welt! Das ist doch was anderes als in einen Tabakladen einbrechen, oder nicht? Denkt nur an E.E. Henry oder Rascal T. Otis. Die sind für einen Fliegendreck gestorben! Ich für meinen Teil ziehe es vor, den Kopf für eine wirklich große Sache hinzuhalten.«
Dieser schwungvolle Appell gab den Ausschlag dafür, dass die Stimmung in Pearlys Bande umschlug. Ja, sie waren bereit, den Wolkenwall zu durchbrechen! Es meldete sich jedoch ein Mann zu Wort, der sich gut im Hafen auskannte; seine Spezialität bestand darin, Privatyachten auszuplündern. Er gab zu bedenken, dass die labyrinthartigen Wasserwege im schilfigen Sumpfland von Bayonne nicht tief genug für ein hochseetüchtiges Schiff seien. Einmal habe er den Wolkenwall aus einer Entfernung von nur einer knappen Meile gesehen, berichtete der Mann. Der Wall sei nicht etwa an derselben Stelle geblieben, sondern er habe die Stadt »wie eines dieser Möbiusschen Bänder« umrundet, wobei er unten in Bodennähe irgendwie geflimmert habe. Manchmal sei er ganz verschwunden, sodass das dahinterliegende Land zum Vorschein gekommen sei. Genau in solchen Augenblicken seien die D-Züge durch die Lücke gefahren, und zwar über silbrig blinkende Geleise, die an jenen Abschnitten besonders hell aufleuchteten, wo der wabernde Saum des Wolkenwalls die Schienen berührte. Bisweilen habe sich der Wall auch wie ein Bühnenvorhang gehoben, bis er gänzlich im Himmel verschwand. Ein andermal sei er buchstäblich im Erdreich versunken und habe eine sonnige Landschaft zurückgelassen. Innerhalb kürzester Zeit könne er mehrere Meilen über unterschiedlichstes Gelände zurücklegen. Eines Tages sei er nach Augenzeugenberichten sogar über den Fluss gehuscht und über Manhattan hinweggestrichen. Dabei habe er all jene mitgenommen, deren Zeit gekommen war.
Pearly meinte dazu, sie müssten dann eben einen Kanal ausbaggern und mit ein wenig Glück abwarten, bis der Wolkenwall über sie hinwegzöge.
Das wäre natürlich ein riskantes Unterfangen. Der Mann aus dem Hafen meinte sogar, es sei so gut wie unmöglich, denn der Kanal müsste quer durch das Marschland von Bayonne verlaufen, wo die Sumpfmänner hausten.
»Gut, dann ist es eben so weit«,
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