Wintermaerchen
zusammen und warf sie sich über die Schulter. Es war früh am Morgen, als er sich, die Hände in den Taschen, auf den Weg über das Eis machte. Ein starker Ostwind strömte, von der aufgehenden Sonne beschleunigt, durch die düsteren Straßen Brooklyns und jagte über den Hafen hinweg. Peter Lake stellte fest, dass er von sich aus gar nichts zu unternehmen brauchte, sondern es genügte, sich gegen den Wind zu lehnen und sich von ihm zu den Sümpfen tragen zu lassen. Auf diese Weise segelte er mühelos viele Meilen dahin. Er erkannte die vertraute Küstenlinie der riesigen Halbinsel von Bayonne, obgleich sie inzwischen von Fabriken, Werften und riesigen Baustellen bedeckt war. In der kalten Morgendämmerung waren dort Tausende von Männern im gleißenden Schein von Flutlichtlampen an der Arbeit.
Als Peter in den Kill van Kull hineinfuhr, den die Sumpfmänner Allandrimore genannt hatten, wandte er sich um und warf einen Blick zurück auf die Stadt. Er erschrak, denn die Perspektive war ihm so vertraut und seine Erinnerung daran so stark, dass er fürchten musste, er habe nun die Verbindung mit beiden Welten verloren. Das Morgenlicht schien die gläsernen Klippen in Brand gesetzt zu haben; es durchdrang sie und legte sich in blassen Regenbögen über die Küste von Jersey. Aber zwischen den Glaspalästen standen noch immer genügend ältere Gebäude, sodass Manhattan wie eine Insel aus gezackten Felsen und die Battery wie ein hartes, vorspringendes Kinn aussah.
Peter schickte sich gerade an, den Kill van Kull hinaufzufahren, um die Buchten, schilfbewachsene Sandbänke und Salzwasserkanäle zu erkunden, als er ein paar Meilen hinter sich ein Häufchen kaum wahrnehmbarer schwarzer Punkte auf dem Eis erblickte, die sich ihm mit großer Geschwindigkeit und anmutigen, fließenden Bewegungen näherten. Dass Schlittschuhläufer schon in aller Frühe unterwegs waren, wunderte Peter nicht; verblüffend waren nur ihre Zielstrebigkeit und Schnelligkeit.
Statt im Kill zu verschwinden, wandte er sich nun nach Osten, dem Wind entgegen. Mit betörender Eleganz folgten die Gestalten der Kursänderung und hielten ein wenig vor, um ihn abzufangen. Als Peter einen Haken nach Westen schlug, machten auch sie eine elegante Rechtswendung. Schließlich bremste er so unvermittelt, dass seine Schlittschuhe eine Kaskade winziger Eissplitter aufwirbelten, und blickte den näherkommenden Schlittschuhläufern unverwandt entgegen. Wie stetig sie vorankamen, so ganz ohne die typisch schwerfälligen, schlurfenden Bewegungen von Menschen, die mühsam gegen den Wind ankämpfen müssen. Sie steuerten genau auf ihn zu. Kein Zweifel – sie waren hinter ihm her!
Trotz der nun unverkennbaren Gefahr empfand Peter Lake regelrechte Freude über die Situation, die ihm seltsam vertraut vorkam. Ein Gefühl von Kraft und Begeisterung, das ihm für einen Mann seines Alters gänzlich unangemessen erschien, bemächtigte sich seiner. Ihm war, als hätte er nun all jene eigenartigen Kräfte in sich, die ihn während seines elenden Stadtstreicherdaseins zu Boden gezwungen hatten, ja – jene Mächte, die gegen ihn gewesen waren und ihn mit Blitz und Donner gestraft hatten, waren nun auf seiner Seite!
Das Sonnenlicht erfasste seine Verfolger. Es waren ihrer mindestens ein Dutzend. Ihre Stetigkeit und Entschlossenheit wirkte bedrohlich. Peter hielt auf Shooters Island zu, das bei den Sumpfleuten Fontarney Gat geheißen hatte. Seine Jäger hatten den Wind im Rücken. Es gab keine Möglichkeit, ihnen nach links oder rechts zu entkommen, und es hatte auch keinen Sinn, weiter nach Westen zu fahren. Das Sumpfland hatte sich verändert, und Peter war sich ohnehin nicht sicher, ob er sich dort zurechtfinden würde. Die beste Strategie bestand darin, die Insel zu umrunden, an Land zu gehen und ungefähr in der Mitte abzuwarten. Sobald seine Verfolger dann, egal auf welcher Seite, hinter der Küste hervorkamen, wollte Peter wieder aufs Eis gehen und mit dem kleinen ihm verbleibenden Vorsprung erneut nach Nordosten laufen.
Ohne zu bremsen, übersprang er den schmalen, überfrorenen Schilfgürtel am Ufer und landete auf dem Strand. Die Kufen seiner Schlittschuhe versanken in Schnee und Sand, als er mit unbeholfenen Schritten quer über die Insel lief. Am höchsten Punkt angelangt sah er, dass seine Verfolger sich nun in zwei Gruppen geteilt hatten, die in zwei weit auseinandergezogenen Reihen die Insel umrundeten. Schon war er wieder auf dem Weg hinunter auf das freie Eis.
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