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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Krümmung des mächtigen Tragseils der Brücke groß genug, um den gesamten Erdball in seinem glitzernden, juwelenfunkelnden Bogen zu halten. Sie können sich meine Verblüffung vorstellen, als Mr Mead mir eröffnete, dass dies nur ein kleinerer Zubringer zur Hauptkonstruktion sei. Darauf breitete er ein paar Dutzend Konstruktionszeichnungen höchst erstaunlicher Brückenbauwerke aus und erklärte, dieselben würden sich wie Speichen von einer zentralen Nabe aus strahlenförmig ausbreiten. Von dieser zentralen Nabe selbst existiert allerdings kein Entwurf, denn sie soll aus Licht geschaffen werden. Jackson Mead spricht kenntnisreich davon, wie Meer und Eis als Linse eingesetzt werden können. Lichtstrahlen aller Wellenlängen – die Generatoren dafür sind bereits in Bau – werden so gemischt, gebändigt, verankert, gespeichert, verstärkt, reflektiert, abgelenkt, moduliert, arrangiert und gebündelt werden, dass sie sich aus eigener Kraft stützen. Das Geheimnis eines Strahls von unendlicher Stärke, erfuhr ich, liegt nicht in der Größe der Apparaturen, die ihn erzeugen, sondern in der Genauigkeit der Kontrollmechanismen. Unter optimalen Bedingungen kennt das Licht keine Grenzen. Jackson Mead beabsichtigt, eine wirre Vielzahl von Strahlen durch ein kompliziertes System von Verstärkungs- und Steuerungsrelais zu ordnen und zu bändigen und sie auf diese Weise zu einem kühlen, reinen und tragfähigen Lichtbalken zu bündeln. Das eine Ende des Bogens wird auf der Battery verankert sein, wohin aber diese Brücke führen soll, wollte er nicht verraten. Die Lösung dieses Rätsels überließ er meiner Fantasie – und ich überlasse sie der Ihren.«
    Spontan regte sich Widerspruch in der Menge. Wohngegenden drohte die Zerstörung, Schnellstraßen würden verlegt werden müssen, und die Ressourcen der Stadt sollten auf den Bau einer Regenbogenbrücke ohne Ende verschwendet werden! Eher hätte man die Zuhälter vom Times Square dazu bringen können, die Kathedrale von Chartres wiederaufzubauen, als diese praktisch denkenden Bürger dazu bewegen, ihre Mittel für ein solches Vorhaben bereitzustellen. Sie würgten an ihrer Entrüstung wie an einem Knebel. War Praeger de Pintos Wahlkampagne nicht ursprünglich gegen Jackson Meads Pläne gerichtet gewesen?
    Der neue Bürgermeister war auf diesen Einwand vorbereitet. Er antwortete mit dem Hinweis, er sei nur gegen die damit verbundene Geheimhaltung gewesen. »Ich habe die Geheimniskrämerei nunmehr beendet«, sagte er.
    Die Parteibonzen kochten vor Wut (und dafür wurden sie schließlich auch bezahlt). Wie immer, wenn sie sich aufregten, erglühten sie wie Leuchtzeichen, um den Wählern in ihren Bezirken zu signalisieren, welch harte Arbeit es war, sie zu vertreten. Sogar die Geistlichkeit begann, sich Gedanken zu machen. Die Prälaten fürchteten, die Brücke könnte ihre Kathedrale veröden lassen, wenn jeder, der auf ihr entlangspazierte, mir nichts, dir nichts in den Wolken verschwände. Ein anderer sagte: »Die Stadt der Armen wird das nicht ohne weiteres hinnehmen. Man wird dort glauben, dass die Brücke nur ein weiterer Feind in einer Welt voller Feinde ist. Es wird zwar eine Weile dauern, bis sich die Leute dort zum Protest aufraffen, aber wenn es dann so weit ist, wird sie nichts mehr aufhalten können.«
    Der letzte Programmpunkt der feierlichen Amtseinführung bestand in der Bekanntgabe des neuen Amtsnamens durch den Ältestenrat. Praeger schwante nichts Gutes. Die Ratsherren hatten während der letzten Legislaturperioden eine geradezu inflationäre Fantasie an den Tag gelegt. Nun, so fürchtete er, würde man Strenge walten lassen und ihn Schweinebürgermeister oder Blechbürgermeister nennen. Er war bereit, einen Kompromiss einzugehen, und hätte z. B. den Titel Vogelbürgermeister akzeptiert. Seit Menschengedenken hatte es immer wieder Knochenbürgermeister, Eierbürgermeister, Wasserbürgermeister und Holzbürgermeister gegeben. Nach dem letzten Knochenbürgermeister hatte dann der Rat ohne Begründung einen aufregenden neuen Kurs eingeschlagen und hintereinander einen Baumbürgermeister, einen Grünbürgermeister und schließlich einen Hermelinbürgermeister ernannt.
    Als es zwölf Uhr mittags schlug und die eisbedeckten Bäume klirrten wie schellenbesetzte Tamburine, legte der Hermelinbürgermeister seine Amtsroben ab (die dann von seinem Stellvertreter zusammengefaltet wurden). Er kniete nieder und reichte Praeger das Szepter seines Amtes. Es gab keinen

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