Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
Vom Netzwerk:
Gästen mehrere Fragen, doch da diese von Peter überhaupt keine Notiz genommen hatten, konnten sie auch keine Auskunft über ihn geben. Betrunken wie sie waren, brachten sie ohnehin kein vernünftiges Wort heraus. Peter lugte vorsichtig durch ein Dickicht von Krampfadern hindurch und warf einen Blick auf die untere Hälfte seiner Verfolger. Sie trugen Jacken, deren Schwalbenschwänze einfach abgeschnitten worden waren.
    »Mein Gott, das sind sie! Die Short Tails!«, sagte er und stieß mit dem Kopf an die Tischplatte.
    Die Short Tails hatten ihn gehört. Grob stießen sie die Gäste von den Bänken. Peter sprang so heftig auf, dass der Tisch gegen die Schneemauer prallte, neben der er gestanden hatte. Die Short Tails dicht auf den Fersen, rannte er in die Kneipe und die Treppe hinauf. Trotz der weißen Wände war es drinnen nahezu stockfinster. Im dritten Stock hielt er jäh inne und wäre fast zurückgetaumelt. Ein Mädchen, vermutlich die Tochter einer der Prostituierten und höchstwahrscheinlich an den Aktivitäten ihrer Mutter beteiligt, stolperte aus einem Zimmer in das Treppenhaus. Sie war erst vier oder fünf Jahre alt, aber sie trug ein schmutziges, weites Kleid und bewegte sich wie eine alte Säuferin. Peter war von diesem Anblick so verblüfft, dass ihn die Short Tails fast geschnappt hätten. Doch dann fasste er sich wieder und rannte weiter.
    Das obere Ende der Treppe war eine Sackgasse. Wohin er sich auch wendete, überall waren Mauern aus Schnee, und hinter sich hörte er das Trappeln und Keuchen der Short Tails. Peter besann sich auf seine Tage als Obdachloser und ging buchstäblich mit dem Kopf durch die Wand.
    Die an das Treppenhaus angrenzenden Räume gehörten zu einem Bordell. Er entschuldigte sich bei den dreißig Gästen, die sich dort wohlig seufzend in einem Bad aus dickflüssiger Kokosnussmilch suhlten, rannte die Treppe hinab und fuhr auf seinen Schlittschuhen in die Stadt zurück.
    In der echten Stadt aus Stein und Beton waren die Short Tails mittlerweile überall, wie Würmer in einem Sack Mehl. Zwar wurde Peter nicht von allen erkannt, aber alle, die ihn erkannten, machten Jagd auf ihn. Er tat ihnen den Gefallen, aus Fenstern zu springen, er ließ sich spektakulär von oben auf schneebedeckte Markisen fallen und pflügte im Laufschritt durch arglose Passantengruppen. Wie Billardkugeln stieß er die Menschen beiseite, und ihre Päckchen und Taschen beschrieben ballistische Bahnen durch die Luft.
    Peter liebte diese Flucht, so beschwerlich sie auch sein mochte, und er konnte sich keinen schöneren Sport vorstellen, als von Ort zu Ort gejagt zu werden, Fassaden hinaufzuklettern, sich in Abflussrohren zu verstecken und von Dach zu Dach zu springen. Das hielt ihn derart in Atem und war so spaßig, dass er alles andere vergaß. Er hatte die ganze Stadt in seinem Blut und bewegte sich in ihr mit großer Geschwindigkeit, ohne ein einziges Mal einen falschen Schritt zu machen. Er war zufrieden mit diesem Dasein und wäre enttäuscht gewesen, hätten seine Verfolger ihn einmal nicht aufgespürt. Mehrmals ließ er sich von einer Feuerleiter auf ein paar unter ihm vorbeihastende Short Tails herabfallen, um ihnen schmerzhaft die Köpfe zusammenzuschlagen. Ein anderes Mal trieb er einen von ihnen in einem verlassenen Gebäude in die Enge. Der verängstigte Gangster hatte langes, ölig schwarzes Haar, das er mit der Linken nervös zu kleinen Schweineschwänzen drehte, während er, die Pistole in der Rechten, zwischen den Schutthaufen herumirrte und nach Peter Lake suchte, der sich in einer Besenkammer versteckt hielt. Als der Kerl die Kammertür öffnete, schrie Peter Lake mit solcher Wildheit »Buh! Buhu!«, dass sein Verfolger vor Schreck zu schlottern begann, kleine Luftsprünge machte und zu alledem noch unbeherrscht und in unregelmäßigen Abständen in den Fußboden schoss. Als das Magazin leer war, sagte Peter Lake zu ihm: »Das war ein hübsches Tänzchen! Wenn du noch ein bisschen an dir arbeitest, kannst du damit im Rainbow Room auftreten.« Die Zähne des Mannes klapperten wie eine automatische Heftmaschine; ein paar von ihnen lösten sich sogar und fielen zu Boden. »Sobald du dich wieder abgeregt hast, wirst du einen guten Zahnarzt brauchen«, meinte Peter seelenruhig.
    »Eigentlich hatte ich ja vor, dich k.o. zu schlagen, aber das hier gefällt mir besser. Schade, dass ich jetzt gehen muss. Wenn du fertig bist, sei so nett und mach das Licht aus, ja?« Mit diesen Worten verschwand Peter

Weitere Kostenlose Bücher