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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sie den Palast betraten, begann ich zu zittern. Auf der Straße war es plötzlich still. Menschen, die vorher vorbeigingen, waren auf einmal nicht mehr da. Sie hatten sich in Luft aufgelöst. Ich stand dort völlig allein. Dann öffnete sich die Tür, und die Soldaten trieben meinen Vater auf die Straße. Hinter ihnen Männer, die Bilder aus dem Museum trugen. Mein Vater schaute zu mir herüber und machte eine Handbewegung, dass ich weglaufen sollte. Doch ich konnte nicht.
    Der Schuss war nicht laut. Nur ein Moment. Dann fiel mein Vater zu Boden.
    Ich rannte nach Hause, bekam keine Luft mehr vom Weinen. Ich konnte nicht sprechen. Meine Mutter packte mich an den Schultern, schüttelte mich und fragte, wo mein Vater sei. Ich konnte keine Antwort geben. Ihre Ohrfeige war so heftig, dass ich gegen die Tür flog. Erst dann konnte ich schreien: »Sie haben ihn erschossen. Er ist tot.«
    Meine Zehen sind bei der Arbeit am Flughafen abgefroren. Sie schmerzen. Aber was ist dieser Schmerz gegen die Angst, die für immer bleiben wird.
    Über die Grodzkastraße kommen mir Menschen entgegen mit Paketen, Taschen und Koffern. Alle haben diesen Ausdruck im Gesicht, für den es keine Beschreibung gibt. Gehetzt sehen sie aus. Als wollten sie davonlaufen, und gleichzeitig erinnern sie sich wieder, dass es dafür keinen Grund mehr gibt.
    Auch ich laufe automatisch schneller und kann es kaum glauben, dass auf dem Wawel die polnische Flagge weht. Jetzt kann ich es mir nicht anders vorstellen, als dass meine Mutter mit Leszek auf mich wartet.
    Die Frauen im Lager haben immer gesagt, dass ich vergessen soll.»Nur so kannst du überleben.«
    Also, weiter. Bis nach Hause ist es nicht mehr weit.
    Wie groß wird Leszek jetzt sein? Mein Vater war groß, meine Mutter auch. Nur ich habe das Gefühl, dass ich aufgehört habe zu wachsen.
    Da ist die Bäckerei von Herrn Adamski. Die Rollos sind geschlossen. Und die Fenster mit Holzlatten zugenagelt.
    Doch vor unserem Haus spielen Kinder unter den Kastanienbäumen wie früher. Das Haus gegenüber, in dem ich Wasser holte, steht noch immer leer. Die Besitzer sind irgendwann ausgewandert.
    »Mit Sack und Pack«, sagte meine Mutter, und dann: »Mehr Pack als Sack.«
    Auch die Haustür steht offen wie vor dem Krieg. Gleich wird meine Mutter herauskommen und rufen, dass es Zeit zum Abendessen ist. Ich blicke nach oben in den zweiten Stock, wo die Fenster des großen Zimmers zur Straße hingehen. Es sind unsere Gardinen, die dort hängen. Ich erkenne sie sofort wieder und renne jetzt die Treppen hoch. Automatisch werde ich langsamer, denn ich kann meine eigenen Schritte nicht ertragen. Ich habe gelernt zu schleichen, seit ich seine Schritte fürchtete. Drei Monate kam er Abend für Abend in die Dachkammer. Bis er eines Tages in die Firma ging. Die Amerikaner waren nicht mehr weit. Er hatte nicht mehr mit diesem letzten Bombenangriff gerechnet. Als er nicht zurückkam, dachten wir, er sei umgekommen. Ich weinte vor Freude. Doch dann erfuhren wir, er lag im Krankenhaus, und man hatte ihm den rechten Arm amputiert. Mehr nicht. Das war die ganze Strafe.
    Im ersten Stock höre ich aus der Wohnung Geschrei wie früher. Ein Kind weint.
    Ich kann es nicht ertragen und renne die Treppe hoch.
    Dann stehe ich vor unserer Wohnungstür. Der alten braunen Tür. Die Klingel ist noch dieselbe. Meine Hand zittert, als ich sie berühre. Ich habe ein Zuhause.
    Aus der Wohnung riecht es nach Bigos. Vielleicht wünsche ich es mir auch nur. Wenn mir jetzt meine Mutter oder Leszek öffnet, dann kann ich vergessen. Dann werde ich vergessen. Es könnte sein, als sei nie etwas geschehen.
    Ich klingele und trete, während ich warte, von einem Fuß auf den anderen.
    Meine Papiere habe ich aus dem Zug geworfen. Die Leute haben gesagt, es sei besser. Außerdem, wer frei ist, braucht keine Papiere.
    Jemand kommt an die Tür. Die Schritte klingen nach einem Mann. Wieder Schritte. Ich drücke meine Hände an die Ohren. Vielleicht ist mein Großvater hier. Natürlich, so muss es sein.
    Doch es ist ein fremder Mann, der mir öffnet. Er trägt die Hausschuhe meines Vaters. Ich erkenne sie sofort wieder. Auch im Flur hat sich nichts verändert.
    »Was willst du?«, fragt er in einem Polnisch, das mir fremd ist.
    »Meine Mutter«, beginne ich zu stammeln.»Das ist unser Haus, unsere Wohnung. Wo ist sie? Sie heißt Danuta Lisowska.«
    »Nie ma«, ist seine Antwort, wie früher Herr Adamski sagte, wenn ich Torte kaufen wollte »Nie ma. Gibt es

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